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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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Geschichten und begleitete sie mit weit ausholenden Gesten, er ahmte die »Italos« nach – die Bezeichnung für die Italiener war in den sechziger Jahren üblich gewesen –, er spielte vor, wie man Makkaroni-Stränge zum Trocknen aufgehängt und wie er sich darin verwickelt hatte, wie ihn am Hang des Vesuvs ein Maultier vom Rücken geschleudert und wie ihm einmal Garibaldi irrtümlich die Leviten gelesen hatte, wo doch gar nicht er der Schuldige gewesen war. Einen so guten Tag hatte der arme Zakata schon lange nicht mehr erlebt.
    Bálint hörte ihm gern zu, denn der alte Herr trug die eigene Sage mit liebenswertem Humor vor. Sein Redefluss wirkte wie sanfte, beruhigende Musik, er plätscherte pausenlos fort, als Zuhörer brauchte er nur manchmal ein Wort einzuwerfen: »Ausgezeichnet!« – »Das ist aber toll!« – »Sehr interessant!« –, und der Alte sprach gutgelaunt und spaßhaft weiter. Man konnte ihn auch beobachten. Abády fiel erst jetzt auf, dass auch Papa Milóths Augen gelb waren. Adrienne hatte ihre bernsteinfarbenen Augen von ihm geerbt. Das war eine merkwürdige Entdeckung, denn er hätte sich nie vorgestellt, dass es zwischen Adrienne und dem leicht lächerlichen Herrn Ákos Milóth eine noch so entfernte Ähnlichkeit geben könnte. Dieser Befund machte ihm den alten Mann liebenswert, und er hörte ihm mit einiger Rührung zu. Schließlich begaben auch sie sich zur Ruhe.
    Bálint hatte gerade seine Jacke abgelegt und war dabei, sich die Weste aufzuknöpfen, als jemand leise an seiner Tür klopfte, ohne die Klinke zu berühren. Bálint glaubte, sich getäuscht zu haben, doch da klopfte es wieder. Er schaute hinaus.
    Es war Judith.
    »Darf ich für einen Augenblick hineinkommen?«, frage sie, und schon war sie in das dunkle Gastzimmer gehuscht. Der junge Mann schlüpfte hastig in seine Jacke.
    »Bitte wundern Sie sich nicht«, sagte das Mädchen, »ich will Sie um eine Gefälligkeit bitten. Oh, nichts Großes. Erschrecken Sie nicht.«
    »Bitte, wie Sie wünschen«, antwortete Bálint und suchte in natürlichem Tonfall zu sprechen.
    »Schauen Sie, BA, die Sache ist die … dass ich … dass mich … hier … ich schäme mich wirklich … dass man mich hier wie ein Kind behandelt … mich so kontrolliert … Aber darum geht es nicht. Wozu darüber reden! Ich habe Sie bitten wollen, Sie möchten diesen Brief übernehmen und irgendwo, beim ersten Postamt einwerfen. Nicht wahr, Sie tun es? Das Ganze ist eine Kleinigkeit, aber mir würden Sie damit einen großen Dienst erweisen. Sie tun es, nicht wahr?«
    Sie standen beide. Die einzige Wachskerze im Raum, die neben dem Bett brannte, beleuchtete Judiths Gesicht von unten. Es war ein leidenschaftliches, entschlossenes Gesicht, in dem jeder Zug die Antwort erwartete.
    »Einen Brief? Natürlich insgeheim …?«
    »Ja«, antwortete das Mädchen, »da ist er, nehmen Sie ihn!« Und sie reichte ihm einen schmalen, aber dicht gefüllten Umschlag.
    Bálints Antlitz verfinsterte sich. Der Gedanke schoss ihm durch den Kopf, der Brief sei gewiss an Wickwitz gerichtet. An diesen Schuft. Nach kurzer Weile sprach er: »Verzeihen Sie, Judith, ich darf das nicht tun. Es wäre von mir nicht fair Ihren Eltern gegenüber, diesen Auftrag anzunehmen … Nein, wirklich, ich darf es nicht tun …« Der Ton, in dem er dies sagte, war noch kälter als die Worte.
    »So?! Sie tun’s nicht?!«
    »Nein!«
    Judith trat einen Schritt zurück. Ihre Lippen öffneten sich über den weißen Zähnen. Hass lag in ihren Augen.
    »So?! Auch Sie halten also zu den anderen? Zu ihnen, zu meiner Mutter und zu Adrienne? Ich hätte es mir denken können … Vielleicht haben gerade Sie Adrienne beeinflusst … Ja! Weil Sie jenen armen Mann hassen. Ich weiß das seit langem. Ich habe es aus Ihren Augen herausgelesen. Sie haben das ganze Entsetzen verursacht. Sie haben zuerst Adrienne … und dann meine Mutter … Das steht schon fest! Gestehen Sie, dass Sie …«
    Abády richtete sich auf. Wut packte ihn.
    »Dazu war ich nicht nötig«, antwortete er frostig, »aber wenn ich nötig gewesen wäre, dann ist es in der Tat wahrscheinlich, dass ich so gehandelt hätte.«
    Während einer Minute standen sie einander Angesicht in Angesicht gegenüber. Dann warf Judith den Kopf zurück und verließ den Raum. Bálint ärgerte sich wegen seiner letzten Erwiderung: Wozu solche Dinge sagen? Erst nach langer Zeit gelang es ihm einzuschlafen.

    Am nächsten Tag wurde er von niemandem geweckt, niemand polterte an

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