Die Schrift in Flammen
Unanständigkeit, die, sofern sie saftig genug klang, auch als Argument diente.
Diese kreuz und quer geführte Diskussion bekam aber plötzlich eine Richtung, als Tihamér Abonyi, der Mann der schönen Dinóra, den Versuch machte, mit großem Ernst aufzuwarten. Als jemand, der aus Ungarn stammte, meinte er nämlich, er müsse über die Weltpolitik besser Bescheid wissen als diese Siebenbürger. Und da er tüchtig Champagner getrunken und auch einige Gläschen Treberschnaps hinuntergekippt hatte, flammte jetzt in diesem sonst einsilbig bescheidenen Mann jäh ein großes Selbstbewusstsein auf. Er rutschte also nach vorn, an den Rand des Lehnstuhls, stützte die Arme auf die Knie und drehte die gespreizten Ellbogen neben dem runden Unterleib nach außen, und so, als hätte er auch an Umfang zugenommen, hob er an: »Ich bitt’ sehr! Ich bitt’ sehr! Geruhen Sie mir zuzuhören.«
In Sekundenschnelle trat Stille ein, denn alle spürten: Da bot sich eine Gelegenheit, mit jemandem seinen Schabernack zu treiben, was in Siebenbürgen ein Lieblingsvergnügen ist. Und der vorzügliche Tihamér begann »wohlunterrichtet« zu sprechen. »Im Hinblick hierauf« und »in Bezug darauf«, sagte er, und wenn der Russe dies tue, dann werde der Engländer umgekehrt, und Amerika gebe es auch, und das, »bitt’ sehr, will was heißen«, und angesichts der Tatsache, »dass auch der Dreibund« … »wenn wir da berücksichtigen« …
Das Ganze ging allerdings nicht so glatt vonstatten. Schon den zweiten Satz griff jemand auf, drehte am Wortsinn und entstellte ihn zur Hälfte, er warf ihn dem Nachbarn zu, der eine weitere Drehung machte, der Dritte drehte jedem Sinn auch schon den Hals um und schmiss ihn so dem armen Abonyi zurück, der mit großem Ernst versuchte, den Satz wieder zurechtzubiegen, doch während er auf der einen Seite seine Erklärungen abgab, riss man anderswo schon wieder ein Wort los, knetete es möglichst närrisch um, und alle verstellten sich: So hätten sie es verstanden.
An diesem Spiel nahm auf seine Weise jeder teil. Der alte Kajsza warf ab und zu nur ein zweisilbiges, freilich höchst abweisendes Wort ein, Jenő Laczók stellte mit trockenem Spott die eine oder andere, scheinbar dümmliche Frage, während Onkel Ambrus mit seinem wohltönenden Bariton eher zum Thema sprach, doch verwandelten sich in seinem Mund alle Einwürfe der anderen in ein Fortpflanzungsproblem. Und so ging es lange Zeit hin und her, während welcher die Augen Abonyis immer mehr hervortraten und er immer gewisser spürte, um wie viel klüger er war als diese Provinzler. Zuletzt dann, als er erklären wollte, dass der Krieg aus diesen und jenen Gründen kein Ende nehmen werde, »bitt’ sehr«, da schnitt ihm Onkel Ambrus das Wort erneut ab: »Der deutsche Kaiser wird kommen mit seinem fürchterlich großen …« Da sprang Abonyi auf und rief beinahe kreischend: »Mit dir, Ambrus, diskutiere ich nicht, denn deine Argumente stammen samt und sonders nicht aus der Politik, sondern aus dem Geschlechtsleben!« Bis aufs Blut beleidigt eilte er zur Tür, entdeckte ein wenig unsicher die Klinke und verließ den Raum. Dröhnendes Gelächter begleitete seinen Abzug.
Die jungen Leute unterhielten sich unterdessen ebenfalls gut. Einige setzten sich im Erker auf die Kante des Geländers, andere auf die Fenstersimse, manche auch auf Stühle, welche die Diener aus dem Saal herausgebracht hatten. Gazsi Kadacsay erzählte die Geschichte seines Ritts zum Schloss, und sie wirkte höchst merkwürdig allein schon dadurch, dass seine stets klagend hochgezogenen Brauen gleichsam an das Mitgefühl appellierten. »Zuechst, am Anfang«, berichtete er mit seiner schnarrenden Aussprache, da er »von dech Chennbahn« habe aufbrechen wollen, habe sich Jóska Kendy zu ihm gesellt und, die Stummelpfeife zwischen den Zähnen, gesagt: »Was willst du mit diesem Klepper? Ich bin mit dem Wagen schneller in Siklód als du mit diesem Pferd, das nur als Wiener Wurst taugt.« Und Gazsi ahmte die knarrende Stimme des jungen Herrn Jóska so gut nach, dass er schon allein damit eine Lachsalve auslöste.
»Und ich Esel, zu meinem Vechhängnis habe ich gewettet! Um zehn Flaschen Champagnech habe ich gewettet, ich Chindvieh!« Die Abmachung war, dass man sich an die Straße halten müsse und dass man erst ziemlich spät aufbrechen wolle, da der Weg dann, wie der hinterhältige Jóska behauptet habe, eher frei sein würde. Und was geschah? Er geriet zwischen die verfluchten Székler
Weitere Kostenlose Bücher