Die Schrift in Flammen
gab es zwar viele Lampen, sie wurden aber an vielen Orten benötigt –, und nach der Helligkeit im Esssaal wurden sie jetzt im dämmrigen Salon von einer Schlummerstimmung überwältigt, die nur gelegentlich von der einen oder anderen neu hinzukommenden Mutter unterbrochen wurde. Sie kamen aus der Nachbarschaft, man hatte sie für die Zeit nach dem Nachtmahl geladen, sie brachten ihre Töchter zum Ball. Sie wussten, dass sie bis in die Morgenstunden würden aufbleiben müssen, und auch das wirkte bedrückend.
Tante Lizinka allein blieb wie gewohnt wach und munter. Sie vergiftete ihre Zuhörerinnen mit bösen Klatschgeschichten, die manchmal unvollendet abbrachen, wenn nämlich gerade die Dame den Salon betrat, von der, von deren Mann oder Tochter der Bericht handelte. Geschah dies, dann stellte Tante Lizinka der neu Hinzugekommenen im liebenswürdigsten Ton lauter solche Fragen, die mit den zuvor abgehandelten Boshaftigkeiten zusammenhingen, und es gereichte ihr zur großen Freude, wenn die ankommende Mutter mit ihren Antworten für den soeben verbreiteten Klatsch einen Anhaltspunkt lieferte.
Frau Laczók indessen verließ den Raum, nachdem sie alle Gäste begrüßt und ihnen Kaffee angeboten hatte. Sie durfte keinen Augenblick verweilen, denn nun hatte sie sich um das Nachtbuffet zu kümmern. Ihr Abgang gab der alten Lizinka Gelegenheit, einen neuen, reichhaltigen Gegenstand aufzugreifen.
»Ach, meine Liebsten«, so legte sie los, »wie mir diese gute Ida und mein Vetter Jenő leid tun!« Und mit großem Gusto begann sie vom »Schandfleck der Familie« zu erzählen, von Tamás Laczók, dem älteren Bruder Jenős, von dem »Tunichtgut«, der vor kurzem als Bahnbau-Ingenieur nach Siebenbürgen zurückgekehrt war. Dies galt tatsächlich als eine Überraschung, denn Tamás Laczók hatte bis ins Alter von über vierzig Jahren nichts Gescheites getan, sondern das Leben auf seine Weise geführt. Man legte ihm zwei Hauptsünden zur Last: dass er in der Jugend einige Schulden gemacht hatte, die von Zeit zu Zeit bezahlt werden mussten, und dass er in wechselnden wilden Ehen einzig mit Zigeunermädchen lebte. Er wurde denn auch ausgestoßen, dies vorab um des Letzteren willen. Dann verschwand er. Um die sechs bis sieben Jahre hörte man nichts von ihm. Er hielt sich irgendwo im Ausland auf. Und nun war er plötzlich zurück als Ingenieur und baute gerade hier, in der Nachbarschaft, die Eisenbahnlinie den Küküllő entlang.
»Ja, meine Lieben, selbst jetzt hat er eine kleine Zigeunermetze bei sich, und die ist noch nicht einmal vierzehnjährig. Ach, ich weiß das ganz genau! Nicht wahr, wie schrecklich und welche Schande für meine arme Nichte, er könnte ja deswegen sogar ins Gefängnis kommen, für so was gibt es schließlich auch Gesetze. Und er war doch ein so hübsches Kind, schaut nur!« Sie zeigte auf ein Aquarell an der Wand, auf ein Gruppenbild: zwei kleine Jungen bei der Mutter, die eine breite Krinoline trug. »Das hier rechts ist Jenőlein und das der Taugenichts«, erklärte Tante Lizinka, und sie fuhr mit ihrer Fistelstimme fort, sich zu entsetzen.
Im Rauchsalon war unterdessen eine lautstark und gutgelaunt geführte Debatte im Gang. Jenő Laczók zündete sich auf dem Ripskanapee die Meerschaumpfeife an, die anderen rauchten Zigarren. Das Gespräch drehte sich auch jetzt um Politik, jedoch nicht mit der leidenschaftlichen Emotion und in dem gehässigen Ton wie am Nachmittag unter dem Baum, vielmehr scherzhaft, mit mancher Witzelei und unter willentlicher Verdrehung von Wörtern. Denn es ging nun nicht um innenpolitische Parteienfragen, die ja ernsthafter Natur sind, sondern um ein Geschehnis im Ausland, in ihren Augen somit bloß um ein Thema, das einem Schauspiel glich und einzig der Zerstreuung diente: um den Russisch-Japanischen Krieg, der damals gerade in seine Entscheidungsphase getreten war. Natürlich bildeten sich auch diesmal gleich zwei Parteien; die eine vertraute auf den russischen, die andere auf den japanischen Sieg. Doch keine der beiden Seiten beharrte allzu sehr auf ihrer soeben noch vertretenen Meinung, sondern war selber bereit, das kurz zuvor Gesagte um eines Wortspiels willen wieder in Frage zu stellen. Die Namen der Generäle und Admirale boten dazu reichlich Gelegenheit. Die fremd klingenden Namen der Japaner wurden von der Russenpartei verballhornt, und die andere Seite tat das Gleiche mit den russischen Namen – und natürlich wurde daraus dem Sinn nach zuletzt stets irgendeine
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