Die Schrift in Flammen
zweiten Sonntag in der Schlosskapelle die Messe lese.
»Ich dachte, die Uzdys seien reformiert«, bemerkte Abády.
»Der Graf und die junge Gräfin. Die alte Gräfin ist aber katholisch, und einige im Gesinde sind es auch«, antwortete der Franziskanermönch, er setzte aber das Thema nicht fort, sondern verstummte.
Gleich nachdem Bálint ausgestiegen war, kam ihm diesmal auf dem Hof Adrienne entgegen. Maier, der alte Butler, führte den Geistlichen weg, und sie blieben allein. »Haben Sie ihn mitgebracht?«, fragte Adrienne leise, um dann laut hinzuzufügen: »Gehen wir in den Garten am Hang. Ich hasse diese Zimmer!«
Sie ließen sich auf der Bank nieder, wo sie bei seinem Besuch unlängst am ersten Tag gesessen waren. Die Düsterkeit der Landschaft ergriff Bálint erneut. Die eine oder andere Buche stand schon golden bunt da, doch die Eichen waren umso dunkler, beinahe schwarz; weiß leuchteten im mittäglichen Sonnenschein oben in der Ferne einzig die beiden Mauern des Festungsturms. Die Unterhaltung kam gehemmt in Gang, als hielten sie sich in Gedanken beide anderswo auf. Hinter dem Fenster im Erdgeschoss in ihrem Rücken ertönte ein Glöckchen, und man vernahm die Stimme des Geistlichen: »Dominus vobiscum …«
Pali Uzdys lange Gestalt zeigte sich rechts auf dem zuunterst verlaufenden Gartenweg. Er führte seine Mutter am Arm. Langsam schritten sie dem Obstgarten zu.
»Wie denn? Ist die alte Gräfin nicht bei der Messe?«, fragte Bálint, der Frau zugewandt. Adriennes Miene überraschte ihn. Ein inneres Strahlen schien durch ihre Haut zu dringen, das Kinn hob sie hoch, die gelben Augen standen weit offen. Als wäre es beinahe die Maske der Meduse – fürchterlich und wunderbar. Als ob sie die Lippen vor maliziöser Freude verzogen, den Mund geöffnet hätte. Mit diesem Ausdruck verfolgte sie das wandelnde Paar, und sie gab keine Antwort, bis die beiden unten bei einer Kehre verschwanden.
»Was haben Sie gefragt? … Ja, ob meine Schwiegermutter …« Nun lachte sie höhnisch, beinahe triumphal. »Wissen Sie, BA, auch sie ist ganz gestört. Die alte Frau unterhält ein frostiges Verhältnis zu Gott. Doch, doch! Sie verschmäht es, das Wort an ihn zu richten. Nein, sie ist keine Atheistin, keineswegs. Im Gegenteil, sie hat einen sehr starken Glauben. Aber sie hat sich mit ihm zerstritten, als ihr Mann den Verstand verlor und starb, weil sie ihn vergeblich angefleht und vielleicht auch ein Gelübde abgelegt hatte, und er wurde ihr durch Gott trotzdem genommen. Seither geht sie nicht in die Kirche und betet nicht. In ihrem Schlafzimmer hat sie das Christusbild gegen die Wand gedreht. Und sie lässt, wie vorher schon immer, einen Priester kommen – vielleicht dazu, dass der alte Maier und die paar Bediensteten ihr Seelenheil pflegen können, ich aber glaube, dass sie dies in Tat und Wahrheit eher tut, um auch hier zu Hause Gott zu zeigen, dass sie ihn geringachtet und ihm nicht gehorcht.«
»Furchtbar tragisch, wenn es wirklich so ist …«
Adrienne lachte grausam: »Sie kann nicht ertragen, dass sich irgendjemand ihrem Willen nicht beugt. Sie hat selbst den Herrgott zwingen wollen, und jetzt bestraft sie ihn.«
Beim Mittagessen waren sie zu fünft: die Gastgeber, Bálint und der Geistliche. Dieser sprach, bevor sie sich setzten, ein Tischgebet. Bálint beobachtete unter der Wirkung von Adriennes Worten die alte Gräfin. In der Tat, Frau Uzdy betete nicht mit. Sie faltete nicht einmal die Hände und bekreuzigte sich nicht. Steif, mit hängenden Armen stand sie da und blickte vor sich hin – ins Nichts. Das von schneeweißem Haar gekrönte Haupt trug sie noch höher als sonst. Der alte Butler bediente lautlos. Die Konversation setzte mühsam ein. Bálint verfolgte alles mit gespannter Aufmerksamkeit.
Er dachte, die Stimmung sei peinlich gedrückt, doch anders als das letzte Mal. Adrienne war es vor allem, die sprach, sie redete gutgelaunt, ein wenig laut, als ob sie die anderen voller Selbstvertrauen in den Griff bekommen hätte und nun der Schwiegermutter trotzen und ihren Mann beherrschen wollte. Auch Uzdy wirkte ein wenig anders; er schien sich absichtlich unterzuordnen, aufmerksamer zu sein und zwischen seiner Gattin und der Mutter zu vermitteln. Die Frau fühlte sich offenkundig befreit. Dafür aber gab es nur eine Erklärung! Dennoch vermochte er kaum daran zu glauben, und wenn er den Blick auf Addys Gesicht richtete, auf ihren lachenden Mund, auf die gelockerte Haltung, mit der sie dasaß, dann
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