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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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niemand! Und magst du auch ein Künstler sein, selbst die Kunst ist nur dann ein Wert, wenn sie einheimischem Boden entwächst, sonst ist sie Papier. Und dass du das Vermögen vergeudest, das du nicht selber erworben, sondern geerbt hast, auch das ist unerlaubt. Mit dem Besitz geht eine Pflicht einher, Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft!«
    »Sollte ich etwa in der Politik mittun wie du?«, erwiderte László geringschätzig.
    »Die Politik ist das Leben selbst. Ich meine nicht die Parteipolitik. Aber es ist auch Politik, wenn ich mein Hauswesen in Ordnung halte, wenn ich mich um mein Gut und mein Dorf kümmere, wenn ich in allem behilflich bin, was den Wohlstand und die Kultur fördert.«
    Baron Gazsi trat hinzu: »Das ist intechessant, was du echzählst!« Und er riss die spechtartige Nase zur Seite.
    »Dies ist so! Das gibt dir ein moralisches Recht auf das Vermögen, das dir zugefallen ist. Es bedeutet eine Verpflichtung. Und auch deine Herkunft verpflichtet dich, jawohl, sie verpflichtet!«
    László lachte beleidigend: »Ich bin nicht so ahnenstolz wie du!« 24
    »Was heißt hier ›ahnenstolz‹? Wer seine Vorfahren aufzählt, die er zufällig vorweisen kann, weil die Geburtsregister nicht vernichtet wurden, der ist ein Esel. Zweifellos aber entwickeln sich bestimmte Fähigkeiten, wenn sie durch mehrere Generationen hindurch ausgeübt werden, so wie ein Foxterrier am Fuchsbau besser arbeitet als ein Pinscher und ein Spürhund besser wittert als ein Puli. Der ungarische Adel hat während Jahrhunderten regiert und gedient. Er diente der eigenen Gemeinde, dem Komitat, der Kirche oder dem Land. Er diente ohne Entgelt, honoris causa.«
    »Die Leute waren so ganz selbstlos!«, spottete László.
    »Nein. Niemand ist und war je selbstlos. Aber die Adeligen hatten gelernt, die Dinge aus dem Blickwinkel der Gemeinschaft zu sehen und deren Interesse auf ihr eigenes Interesse abzustimmen. Diese Betrachtungsweise hatte sich bei uns herausgebildet wie der militärische Geist bei den preußischen Junkern oder der Geschäftssinn bei den Juden und den Armeniern. Kein Zufall, dass selbst heute noch fast jede führende Persönlichkeit aus dieser Klasse kommt, und dies auf jedem Gebiet, das Regierungsfähigkeiten verlangt. Und diese Aufgabe darf man nicht abschreiben, solange in unserem Volk nicht ein ähnliches Gemeinschaftsgefühl entsteht, wie es etwa die Sachsen unter sich entwickelt haben.«
    Bálint bemerkte erst jetzt, dass die Mutter schon seit einiger Zeit in der Tür stand. Ein schwaches Lächeln spielte um ihre Lippen. Gräfin Róza trat nun vor. Mit der kleinen, dicken Hand strich sie László über das Haar.
    »Ich zeige euch etwas, Kinder«, sagte sie und trippelte ins Zimmer nebenan, wo sie ihrem Schreibtisch ein vergilbtes Heft entnahm. Sie kehrte damit zurück, setzte sich unter die Lampe und las daraus vor: »Ich weiß, dass ich Dir eine große Last aufbürde mit der Anordnung, dass Du Dich mit allem selber befassen sollst. Doch Pächter und Gutsverwalter haben einzig ihr oder Dein pures Interesse im Auge. Von Dir aber wünsche ich mir anderes. Das patriarchalische Verhältnis, das zwischen dem Gutsherrn und seinem Dorf während Jahrhunderten bestanden hatte, ist mit der Aufhebung der Leibeigenschaft nicht zu Ende. Man muss jene, die an Besitz und Bildung auf so viel niedrigerer Stufe stehen als Du, führen, unterstützen und beschirmen. Betrachte das dörfliche Volk so gut wie das Gesinde als Deine Kinder. Sei streng, aber gerecht und verständnisvoll. Denn es entspringt keinem Zufall, dass im Ungarischen ›család‹ – Familie – und ›cseléd‹ – Knecht – dasselbe Wort sind …«
    Frau Róza blickte nun auf Bálint. Ihre leicht vortretenden Augen schienen zu leuchten: »So ist die Tradition unserer Familie. Dein Vater hielt es so, auch mein Vater, und ich wünsche, dass du es so fortsetzt. Und ich hoffe, dein Sohn wird es auch tun …«
    Die drei Männer hörten Frau Abády gerührt zu, während sie dies aus den Anordnungen ihres verstorbenen Gatten vorlas. László beugte sich über ihre Hand und küsste sie. Die alte Dame erhob sich. »Ich glaube, man hat den abendlichen Tee und das Kompott schon serviert«, sagte sie, und alle kehrten ins Nachbarzimmer zurück.

    »Es tut mir leid, dass ich mich vom Zorn habe hinreißen lassen«, sagte Bálint, als er sich im Gastzimmer von László verabschiedete.
    »Eher habe ich dich beleidigt«, erwiderte dieser und fügte leise hinzu: »Aber ich bin

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