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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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Masse in Tausenden von Achterreihen, eine schweigsame, düstere, stumme Menge. Es war ein gewaltiger Anblick, doch für ihn, der in einer anderen Welt lebte, in der Welt seiner inneren Bitterkeit und Musik, bedeutete er nichts, noch nicht einmal so viel wie der politische Disput im Nationalcasino, wo ihm das eine oder andere Wort doch ins Ohr drang. »Unter uns« klopfte man dort schwerwiegende, harte, erzungarischeSprüche gegen den Kaiser, und man garnierte sie manchmal so saftig, dass sie selbst zum Landtag von Ónod gepasst hätten, man erging sich in kühnem Gerede über die Entthronung; dies, versteht sich, nahm zwar niemand ernst, aber es klang gut, und man brauchte auch nichts zu befürchten. Wuelffenstein amtierte nun als Anführer der im Casino verkehrenden jüngeren Politiker. Er fällte Urteile und traf Entscheidungen. Schlimm schalt er jeden, der, sei es auch nur zufällig, ein deutsches Wort verwendete. »Mein Blut kocht, wenn ich so etwas höre«, sagte er, und der vorzügliche Frédi würzte seine Sätze einzig mit englischen Wendungen, womit er einen weiteren Beweis erbrachte, dass er mit allem, was deutsch sei, endgültig gebrochen habe.
    László saß beim Mittags- oder beim Nachtmahl mit den politisierenden Männern oft zusammen, doch er nahm, was immer sie sagten, mit Gleichmut auf. Die anderen hielten seine Schweigsamkeit für vornehme Sorglosigkeit, und seine gesellschaftliche Position erlitt deswegen keinen Schaden. Und doch lastete ständig, als trüge er eine bleierne Mütze, eine gedankenlose Trägheit auf ihm. Nicht einmal die Liebesnachmittage, die er mit Fanny in der kleinen Wohnung in der Donáti-Straße verbrachte, strahlten Freude in seine Seele aus. Oft, wenn er in der Dämmerung von dort hinunterstieg, blieb er, die Küsse der schönen Frau noch auf den Lippen, an der Donau stehen. Die Lampen am Quai spiegelten sich zu dieser Stunde bereits im hellgrauen Wasser. Tausend Lichter, zu safranfarbenen Strichen verlängert, spielten im Fluss, tausend Flammen, die sich dem Ufer nach endlos hinzogen, und drüben, am anderen Ufer, der rauchverschleierte Himmel über der riesigen Kuppel des Parlaments. Und Stille. Die Stille der Großstadt am allmählich hereinbrechenden Abend. Er stützte sich auf das eiserne Geländer am Margit-Quai. Lange sah er hinaus auf den großen Fluss, auf dem Möwen schaukelten und manchmal auch Seetaucher oder Wildenten, die sich hierher verirrt hatten.
    An das Rendezvous gerade zuvor dachte er nie. Er sah die Frau, von der er soeben Abschied genommen hatte, nicht vor sich, vergegenwärtigte sich nicht ihre katzenhaften Augen, den wollustkundigen Mund und den wundervollen Körper, auf dem sie gewöhnlich nur ihre Perlen anbehielt: fünf Reihen erbsengroßer Perlen, deren lebhaftes, vitales Weiß zu ihrer rosigen Haut so gut passte. Wenn sie sich das Kollier spielerisch um die Hüfte oder den Hals band, es sich über die Schulter warf, als Fessel um die Schenkel knüpfte, sodass es die goldbemoosten Rundungen ihrer Figur nachzeichnete, dann wurde ihre Nacktheit durch die Perlenreihen noch betont. Dieses Kollier, ein Vermögen wert, trug Fanny, seitdem sie es von ihrem Mann als Hochzeitsgeschenk bekommen hatte, immer auf ihrer Haut, auch am Tag unter ihrem Kleid, und vielleicht lag es an ihrem lebendigen Fleisch, dass die Perlen so einzigartig glänzten. Doch László kam es vor, als existiere dies alles gar nicht. Er fühlte sich allein, verwaist und verloren. Alles auf der Welt war ziellos und vergeblich, wenn er so dastand. Und immer wieder fragte er sich: Wäre es nicht besser zu sterben? Lange verweilte er so an der Donau und begab sich schließlich ins Casino. Dort nahm er ein Bad, zog sich um, las die Zeitungen und aß zu Abend, dann spielte er bis zu später Nachtstunde und verließ den Klub als Letzter – zumeist als Verlierer, weil ihn selbst das Spiel nicht mehr interessierte, er ließ sich nach Hause kutschieren, und nie dachte er an die Frau mit dem Pantherleib zurück, die sich am gleichen Nachmittag unter seiner Umarmung gebärdet hatte, als wäre sie von Sinnen.

    Wochen vergingen auf diese Weise, eine ereignislose Zeit für ihn. Nur hie und da erfolgte eine Nachricht, die ihm einen feinen Nadelstich und für einen flüchtigen Augenblick Schmerz zufügte. So wenn ihm der Möbelfabrikant, bei dem er drei weitere Kissen für die kleine Wohnung bezog, stolz eine Cretonne-Garnitur zeigte, die Imre Wárday bestellt habe. So einige Tage später, als er

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