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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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silbernen und blauen, grauen und violetten Lichtfäden durchzogenen Irrgarten; der Dunst in der Talsenke milderte die strenge Marmorlinie der Landstraße, vor welche die welkenden Blüten der Rosensträucher matte Tupfer setzten – mitten in ihre im Blätterwerk kaum erahnbaren Blumengebinde. Und als wollte ein raffinierter Meister die Wirkung des Gemäldes noch steigern: Die schlanken eisernen Stangen, die hoch oben die vorspringende Decke hielten, zerschnitten mit ihren ungebrochenen Rahmenlinien das Bild, zergliederten es tiefschwarz in drei Teile, damit es – von hinten betrachtet – noch mehr einer Vision gleiche, noch träumerischer würde, wie eine Erinnerung an den verlorenen Garten Eden oder die unbewusste Ahnung des nie Gekannten.
    Das dunkle Leichentuch des Mondschattens bedeckte den ganzen Vordergrund, den das Steingeländer abschloss, schwarz auch es. Nur auf seine Verzierungen fielen einige schwache Lichtstreifen.
    Der Blick Bálints glitt das Geländer entlang. Eine Frau stand rechts bei der Ecke: Adrienne Milóth. Er nahm sie nur als Schattenriss wahr. Ihre schlanke Figur zeichnete sich vor dem Mondglanz ebenso dunkel ab wie die harten Linien der Eisenstangen. Das Licht hinter ihr blendete so sehr, dass ihr Gesicht, der nackte Hals und die Arme kaum heller erschienen als ihr sattgrünes Seidenkleid. Sie stand unbeweglich und blickte hinaus. Sie lehnte sich nirgends an. So gerade stand sie da, genau so wie einst, als er sie in ihrer Mädchenzeit vor der Konsolenlampe gesehen hatte; mit hochgehobenem Kinn, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Und als drückte ihre ganze Unbeweglichkeit den gleichen verhaltenen Trotz aus wie damals.
    Vielleicht lag es an der sich leise meldenden Erinnerung oder an der Zaubernacht rings um ihn, dass Bálint ihr jetzt nicht aus dem Weg ging, sondern sich mit leisen Schritten ihr näherte und – die Ellbogen auf das Steingeländer gestützt – wortlos neben ihr stehen blieb. Adrienne richtete kein Wort an ihn, doch nach einigen Augenblicken beugte sie sich und stützte sich ihrerseits auf die Ellbogen. Es gab in dieser Bewegung eine gewisse Bejahung, etwas, was auszudrücken schien, dass sie sein Hinzutreten annahm, sich darüber vielleicht ein wenig sogar freute, dass er nicht störte, im Gegenteil, dass es sogar gut war, wenn er bei ihr stand. Und noch etwas! Als sagte sie: Ich suche Zuneigung, inneren Widerhall, Verständnis …
    All dies war aber nicht mehr als ein flüchtiger, ungewisser Eindruck, entstanden durch die vertrauenerweckende Geste der jungen Frau, vielleicht auch durch die Art, wie sie die Arme ruhig gestreckt und das Gewicht des Oberkörpers langsam darauf verlagert hatte. Bálint dachte unwillkürlich: wie ein schlanker schwarzer Panther. Diese pflegen sich mit solch gleichmäßiger und geschmeidiger Lautlosigkeit niederzulassen, keine ihrer Bewegungen beschleunigt oder verspannt sich, sondern alle vollziehen sich in derselben Harmonie. Mit ihren gelben Augen blicken auch sie auf solche Art in die Ferne …
    Sie sprachen lange kein Wort. Die Tanzmusik, die nur gedämpft zu ihnen hinausdrang, störte nicht die unendliche Stille der Nacht. Im Gegenteil, die Töne trugen wohl noch dazu bei, sie zu vertiefen. Gelegentlich, in langen Abständen, vernahm man aus weiter Ferne das Gebell von Hunden. Sonst gab es keinen Laut. So verblieben sie lange wortlos nebeneinander, beide auf die Arme gestützt.
    Bálint spürte allmählich, dass er etwas sagen, diese Stille zumindest mit einigen gleichgültigen Sätzen durchbrechen musste, um Adrienne von der Last des Schweigens zu befreien, hinter dem sich gewiss eine Trauer, eine Enttäuschung verbarg und darauf wartete, sich durch eine Mitteilung zu lösen. »Welch wunderbar ruhige Nacht«, bemerkte er beinahe flüsternd, als könnte ein stärkerer Laut den Zauber bereits durchbrechen.
    Die Frau antwortete ebenso, kaum vernehmbar: »Ja. Wunderbar. Und wie verlogen doch alles ist.«
    »Warum nennen Sie es verlogen?«
    Adrienne wandte sich ihm auch jetzt nicht zu. Sehr langsam, stockend antwortete sie: »Ja. Alles Schöne ist verlogen. Das, was man sich vorstellt. Woran man glaubt. Was man tut, weil man daran glaubt. Daran, dass es hilft … dass es nützt … daran, dass man helfen kann … Diese Dinge sind lauter Köder. Köder des Lebens. Und wir sind so stumpfsinnig, wir schlucken sie, und ›schwupp!‹, schnappt die Falle zu.«
    Fast lautlos lachte sie ein wenig, doch ihre Augen blieben ernst. Dann

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