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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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stattdessen richtete er den Blick hinunter, auf den Garten im Innenhof. Der Nebenflügel und die Wehrmauer warfen von links unten einen tiefpurpurnen Schatten. Es war ein gerader, breiter Streifen, dessen Rand wie mit dem Lineal gezogen schien. Darüber hinaus aber glänzte alles in blauer Helle. Das planierte Oval der Rotunde steckte voller winziger, glänzender Pünktchen, ein Licht auf jedem Kieselstein, fast so, als hätten Rauhreif oder sternförmige Schneeflocken den Boden bedeckt. Auch der Rasen rund um das mittlere Blumenbeet wirkte, als wäre er zwischen den Ästen des Indigostrauchs von lauter glänzenden Kratzern durchsetzt, den einzelnen Grashalmen, man hätte sie von oben beinahe zählen können. Einzig die leuchtenden Canna-Pflanzen im Beet in der Mitte erhielten im Mondlicht eine tiefere Schattierung, die karmesinroten Blüten wirkten beinahe schwarz, und auch das bräunliche Blätterwerk hob sich ab – ein großer, verlaufener Tintenfleck inmitten des wie Milch zerfließenden Mondscheins.
    Er überblickte den vor ihnen liegenden inneren Garten bis zum Flügelbau auf der rechten Seite, hinter dessen hohen Fenstern Licht brannte, sodass sie sich zwischen den grauen Flächen der Mauerstützen gelb abzeichneten, und wie sein Blick weiterstreifte bis zum Türmchen rechts, das fast schon ungegenständlich und sehr entfernt schien, da gewahrte er auf den Treppen unter der Bastei eine sitzende Menschengestalt. Er erkannte den Mann sofort, obwohl er jetzt nicht den schwarzen Mantel, sondern eine Leinenjacke trug. Es war András Jópál. Der junge Mathematiker saß nach vorne geneigt, mit an den Leib gezogenen Knien auf den Stufen, doch hatte ihn offensichtlich nicht die Schönheit der nächtlichen Landschaft gelockt, denn er blickte fortwährend nur zum Mond hinauf, einzig dorthin … In der wunderbaren Nacht, der er nicht die kleinste Beachtung schenkte, schien er nun noch fremder, noch verlassener zu sein als einige Stunden zuvor inmitten der Vergnügungen beim Nachtmahl. Bálint nahm sich bei seinem Anblick vor, später unten die Bekanntschaft zu erneuern.
    Doch seine Augen kehrten zu der Frau zurück, die, den Kopf aufgestützt, stumm neben ihm verharrte. Ob sie endlich sprechen würde? Sie lehnte sich immer noch bewegungslos an das Steingeländer. Das Seidentuch war aber von ihrer Schulter geglitten. Sie hatte auch jetzt noch ein wenig magere Schultern, mit einer leichten Krümmung hinter dem Schlüsselbein, der schlanke Hals war kräftig, doch etwas schmal, und das Kinn schloss sich in einem beinahe stilisierten Winkel an wie bei den frühen griechischen Statuen. Sie war ganz wie in ihrer Mädchenzeit; sie hatte sich gar nicht verändert. Sie war nicht füllig, ihre Figur hatte sich nicht gerundet, wie das die Regel der Natur vorgibt, wenn das Mädchen zur Frau und zur Mutter wird. Der weiche Schmelz, der die Frau bei der Erfüllung ihrer Berufung überzieht, hatte die Glieder Adriennes nicht berührt. Aus der Knospe hat sich keine Blume entfaltet, dachte Bálint unwillkürlich, und dies überraschte ihn ein wenig, weil ihm bekannt war, dass sie schon eine kleine Tochter hatte, die jetzt etwa zwei Jahre alt sein mochte. Und ihm schien, als offenbarte sich der stille, herbe Zug, der sich hinter ihren Worten verbarg, auch im Gegensatz zwischen dem mädchenhaften Äußeren und ihrer Mutterschaft.
    Adrienne bedeckte indessen die Schultern wieder mit ihrem Shawl. Vielleicht hatte sie den Blick des Mannes auf ihrer Haut verspürt. Sie verhüllte sich mit einer schamhaften Mädchengeste. Und nachdem sie das Tuch auch um die Arme gewickelt hatte, stützte sie sich wieder aufs Geländer und sagte: »Ich möchte Ihnen beim Sprechen zuhören, BA. Es gibt so viel Lebensvertrauen in dem, was Sie sagen. Das ist gut. Manchmal ist das gut. Manchmal braucht man das. Sprechen Sie weiter …«
    Und Bálint fühlte wieder, jetzt vielleicht noch stärker, jene Steigerung seiner Fähigkeiten, von der er dann und wann mitgerissen worden war, wenn sie sich damals in Adriennes Mädchenzimmer zu zweit lang unterhalten hatten. So schritt er nun fort auf dem Gedankenpfad, den er zuvor mit einigen hingeworfenen Sätzen markiert hatte. Die Worte schwebten leicht empor, aus dem ungewissen Chaos der Empfindung formten sie sich ohne Anstrengung und Suche zu wohlgestalteten Sätzen, zur abgestimmten Klangfigur, stets fand sich der charakteristischste Ausdruck, der treffendste Vergleich, und der innere Wächter, der, wenn wir vortragen,

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