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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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auf das Gesagte sorgsam achtgibt und uns rät: Füg jetzt ein Bonmot ein, ein minder gewichtiges Wort, damit du weniger eintönig wirkst, oder ein kräftigeres, plastisches Adjektiv, das schön nachhallt – auch dieser Wächter hatte seinen Redefluss vielleicht noch nie so geleitet wie diesmal. Das, was Bálint so zusammenhängend bis zu dieser Stunde niemals durchdacht hatte, trug er nun vor als geschlossenes System. Er sprach über das Versagen der bisherigen philosophischen Lehren. Über die Unhaltbarkeit der spröden Dogmen, welche die in immer tieferen Schichten forschenden Naturwissenschaften über den Haufen geworfen hätten. Begriffe wie gut und böse seien tot. Die Aufklärungsarbeit der Biologie habe sie durch die Analyse der Zellen und die Entdeckung der Zwanghaftigkeit der Vererbung sinnlos gemacht. Und doch brauche es etwas, was die Handlungen wertvoll und unterscheidbar mache. Und dieses Neue, das erlösende Wort, heiße Schönheit. Die Schönheit der Tat. Das, worüber nicht das so leicht und leichtfertig aussprechbare Urteil entscheide – dies ist gut, jenes schlecht –, sondern ein ungleich tieferes, beständigeres Motiv: die Schönheit und die Aufrichtigkeit des Gefühls. Seine Phantasie holte von allen Seiten Argumente, um diese These zu stützen. Bestimmt! Die Natur als Ganzes sei auf der Suche danach, suche überall die Schönheit. Vom tausendförmigen Reichtum der Einzeller über die Tierwelt des Urwalds und die Urmenschen bis zur Harmonie der menschlichen Seele und zur Schönheit Christi. Überall gebe es Kampf. Gewiss. Ein Ringen überall. Doch werde es aus aufrichtigem, nicht aus verlogenem Zwang geführt, nicht zum Vergnügen, sondern um der Schönheit willen.
    Er sprach lange, nicht lauter als zuvor, doch entsprang seine Stimme irgendwie einer tieferen Schicht, sie kam aus größerer Ferne. Ihm schien beinahe, als spräche ein anderer aus ihm.
    Adrienne hörte ihm zu. Manchmal warf sie ein Wort oder eine kurze Frage ein: »Ja. – Möglich. – Und wir? – Das, was wir auf uns genommen haben? – Sie glauben das wirklich? – Vielleicht …« Doch nun verloren sich ihre onyxgelben Augen nicht in der Ferne; weit geöffnet blickten sie ihm gerade ins Gesicht.
    Bálint sprach lange und hätte noch weitergesprochen. Doch nun riss jemand die Tür des Ballsaals auf. Die Töne eines entfesselten Galopps drangen hinaus, und zugleich ergoss sich eine lange Kette von Tanzenden ins Freie. Farkas Alvinczy, der Vortänzer, machte den Anfang. Nach vorne geneigt, zog er seine Tänzerin hinter sich her, und so, sich aneinanderklammernd und einander zerrend, liefen sie alle, die eine Farandole tanzten, hinaus auf den Erker; so jagten sie rundherum, schwarzbefrackte Herren und bunt gekleidete Mädchen, in rasendem Tempo das Geländer entlang, um dann in stampfendem Lauf eine Kehre zu beschreiben – zurück in den Saal. Der Letzte in der Kette, der kleine Kamuthy-Junge, berührte kaum mehr mit den Füßen den Boden, er flog eher dahin und schleuderte hin und her wie die Spitze einer geschwungenen Peitsche. Einmal stieß er ans Geländer, dann wieder an die Sockel der Säulen. Als er an Adrienne vorbeibrauste, griff er nach ihrer Hand, doch sie trat zurück, und ihn zog es in einem greulichen Bogen weiter. Bei der Kehre schlug es ihn noch zweimal ans Geländer, dann an den Türflügel, bis schließlich auch ihn der Rachen des Ballsaals verschlang.
    Das Ganze hatte nur einen Augenblick gedauert, und schon war der Spuk vorbei; und kaum waren alle drinnen, ging die Musik vom rasenden Galopp in einen langsamen Walzer über; die Kette der Tanzenden löste sich auf, der Ballsaal füllte sich mit gleitenden, vorbeihuschenden, einander umfangenden und sich im Takt drehenden Paaren. Durch den Überfall war der Zauber gebrochen, die Entrückung, in der Adrienne und Bálint Raum und Zeit vergessen hatten.
    Auch sie kehrten in den Ballsaal zurück. Adrienne wurde von einem Herrn zum Tanz aufgefordert, und er entführte sie in das sich drehende Gewimmel.

    Bálint blieb eine Weile an der Wand stehen. So viel brauchte er, um von der Zauberwelt zuvor in die Wirklichkeit zurückzufinden. Nun fiel ihm Jópál ein, seine Gestalt, wie er vor dem Türmchen gesessen war. Ja! Er wird zu ihm hinuntergehen, ihn suchen. Besser auch, sich mit ihm zu unterhalten, statt zu tanzen, wozu er jetzt gar keine Lust empfand.
    Er ging die Treppen hinunter, in die Vorhalle. Hier wurden Getränke ausgeschenkt. Bis zum Rand mit Eis gefüllte,

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