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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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verhindern werde.
    So kam der 18. November.
    Seit dem Vortag fanden parallele Sitzungen statt. Den Nachmittag verbrachte die Opposition in einer geschlossenen Sitzung. Am späten Abend trat dann die Regierungspartei vollzählig an. Nach Tiszas Rede, welche die andere Seite – kaum mehr als zwanzig bis dreißig Leute – nur hie und da gestört hatte, sprangen die Abgeordneten des Regierungslagers auf: »Abstimmen! Abstimmen!« So ertönte es überall. Mitten im Riesenlärm schwenkte der Vorsitzende ein Schriftstück, und die Bewegung seiner Lippen verriet, dass er irgendetwas sagte.
    Bálint berichtete seinen Zuhörern von den Geschehnissen dieses Tages. Er erzählte wortkarg, beschränkte sich auf die trockenen Fakten. Die eigenen Eindrücke sparte er aus. Dabei hatte er alles genau beobachtet und gehört. Er betrat den dunklen Raum am Ende der geschlossenen Sitzung. Er blieb hinter den obersten Bankreihen stehen, gegenüber dem Podium des Vorsitzenden. Die Vertreter der Regierungspartei, die im Buffet auf die Beendigung der geschlossenen Sitzung gewartet hatten, strömten bereits in den Saal. So zahlreich und kampflustig waren sie vielleicht noch nie gewesen.
    Tisza erhob sich. Seine schlanke, männliche Gestalt zeichnete sich über den beleuchteten, ihm zugewandten Gesichtern der Abgeordneten dunkel ab. Er gebrauchte scharfe, anklagende Worte, zählte auf, was er zur Wiederherstellung der parlamentarischen Ordnung unternommen hatte. Nichts habe gefruchtet. Nun sei es genug! Die Rede ging immer mehr zum Angriff über – so mögen die biblischen Propheten ihre Zuhörer gegeißelt haben –, und sie gipfelte in der düsteren Prophezeiung: »Wenn das Land nicht jetzt zur Besinnung kommt, werden wir erst aus bitteren Erfahrungen einer großen nationalen Katastrophe ernüchtert aufwachen!« Die Linke hörte ihm versteinert zu. Nun gab es keine Zwischenrufe und keinen Lärm mehr, alle schwiegen wie in Bann geschlagen.
    Dann sprang hier und dort auf der Rechten ein Unterführer der Partei auf und brüllte: »Abstimmen!« Manche erhoben sich bereits stampfend, doch Tisza beorderte sie mit einem Wink zurück.
    Er wollte seine Rede beenden. Immer mehr Leute schnellten hoch, blieben herausfordernd stehen, und nur die breiten Gesten des Ministerpräsidenten hielten sie davor zurück, laut zu schreien. Dann kam er zum letzten Satz: »Machen wir der Komödie ein Ende!« Und sein ganzes Lager erhob sich mit großem Gedröhn, und alle riefen: »Abstimmen!« Rufe ertönten vielleicht auch drüben, auf der anderen Seite, aber das Geheul von Hunderten übertönte alles.
    Der Präsident auf dem Podium hob ein gefaltetes Blatt hoch, und man sah an seinem Mund, dass er etwas sagte, aber im Getöse war kein Wort zu verstehen. Das dauerte nur einige Minuten, dann stand er auf und wankte hinunter. Die Menge der Abgeordneten ergoss sich in die Mitte, sie füllten den freien Raum ganz aus, wo »der Tisch des Hauses« mit der vollständigen Sammlung der Gesetzbücher stand. Dort gestikulierten und diskutierten sie, dann flogen Papiere und hie und da sogar Bücher über den Köpfen hoch, nicht angriffig geschleudert, sondern nur so aufwärts, ohne jedes Ziel …
    Abády blieb nicht im Saal. Ekel überkam ihn, irgendein verdrießliches Gefühl der Enttäuschung. Gewirkt hatte auf ihn einzig die Rede Tiszas. Darin allein waren Töne der echten Überzeugung erklungen. Der Rest bestand aus Inszenierung und Rollenspiel. Die drei bis vier Eifrigen auf Regierungsseite, die von ihren Sitzen hochsprangen und begeistert riefen, gestalteten zweifellos ihnen zugeteilte Rollen, sie hatten die Abgeordneten der Rechten zu elektrisieren und zur Tat anzustacheln; auch die vorgetäuschte Überraschung der Linken entsprach einer Rolle, da sie ja seit mehreren Tagen verkündet hatten, derartiges sei zu erwarten, und ihr ganzes Verhalten vor und nach der Rede Tiszas war bloß Schauspielerei für die Leitartikel am nächsten Tag. Wie sie der Rede einigermaßen ruhig zuhörten, wie sie ganz gemächlich in die Mitte hinabstiegen, um mit den Gegnern zu debattieren, und wie sie Bücher in die Luft warfen – all das machte fast den Eindruck, als wären sie eigentlich zufrieden, die Sache hinter sich gebracht zu haben, so wie Kinder erleichtert sind, wenn die unausweichliche Züchtigung vorbei ist. Die paar hochgeschleuderten Papiere und Bücher waren ein Beweis mehr, auch sie galten nur den Zeitungen vom folgenden Tag.
    Bálint schritt eilig den teppichbedeckten

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