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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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Korridor entlang. Hier herrschte nun Stille, als wäre das gewaltige Palais ganz ausgestorben. Als er um die Ecke bog, traf er auf den alten Vorsitzenden, dem rechts und links ein Protokollführer und der administrative Leiter der Kammer unter die Arme griffen. Bálint fragte, was geschehen sei, was er bekanntgegeben habe. Stotternd vor Erregung vermochte der Greis nur so viel zur Antwort zu geben: »Alles … alles ist durch … alles ist durch …« Und die beiden, die ihn stützten, schleppten ihn weiter zum Raum des Präsidenten.
    Im Nationalcasino empfing Bálint ein Gewimmel wie in einem aufgestörten Ameisenhaufen. Das Deák-Zimmer hatten die Anhänger Andrássys besetzt, und überall bildeten sich Dreier- und Vierergruppen, die je nach Parteistandort oder der eigenen Natur das Geschehene besorgt, empört oder triumphierend besprachen. Nur in den Spielzimmern hatte sich nichts verändert. Die Bridge- und Tarock-Fakire saßen auch jetzt mit gleichmütigem Gesicht um die Tische und erwogen zögernd, ob der Impass zu machen sei und ob ihr Kontra wohl gelingen werde.

    Darüber sprach aber Bálint im Rauchsalon bei den Kollonichs nicht. Er sagte nichts über seine Empfindungen, fällte kein Urteil, antwortete eher nur auf Fragen. Vielleicht trug zu seiner Zurückhaltung bei, dass die Fragenden seine Auskünfte offensichtlich mit unterschiedlichen Gefühlen aufnahmen.
    Antal Szent-Györgyi betrachtete die Dinge sozusagen aus olympischer Perspektive. Er freute sich, jawohl, dass einer den Leuten, die sich »dem Willen Seiner Majestät widersetzt hatten«, Anstand beibrachte. Mit seiner Genugtuung verband sich aber keinerlei Anerkennung, denn er hielt jedwede Innenpolitik für ein schmutziges Handwerk. Man braucht sie, ja, sie ist notwendig wie das Ausbringen des Mists in der Landwirtschaft, aber keine Beschäftigung für einen vornehmen Mann. Er verzieh Bálint die Wahl zum Abgeordneten auch nur darum, weil er, in Genealogie bestens bewandert, wusste, dass Bálint von einem petschenegischen Heerführer abstammte, der sich unter dem Fürsten Géza in Ungarn niedergelassen hatte; ferner dass seine Ahnen zum Stamm der Tomaj gehört und manche unter ihnen als Palatine, Siebenbürger Woiwoden und Inhaber der Ban-Würde bereits unter den Árpáden eine Rolle gespielt hatten. Bei solchen Vorfahren ist es erlaubt, dass sich jemand manchmal zum Pöbel gesellt, wenn es ihn halt danach gelüstet. Die Meinung Lubiánszkys war schon minder eindeutig. Er hatte unter der Regierung Széll in Tolna als Obergespan gedient, und jetzt, nach seiner Entlassung, gehörte er zur Dissidentengruppe, die sich um Andrássy scharte. Er verabscheute die 48-er, verabscheute aber auch Tisza; dass jene in die Schranken gewiesen wurden, bereitete ihm Genugtuung, er hatte aber gehofft, Tisza würde über diese Affäre stürzen. Es fiel sehr schwer, die beiden Standpunkte in Einklang zu bringen. Kollonich schließlich interessierte das Ganze kaum. Er, der sehr katholische und steinreiche Hochadelige, wurde vor Wahlen von der Volkspartei regelmäßig angepumpt. Daher empfand er für diese Leute eine gewisse Sympathie, obwohl er auch deren Partei beschimpfte, so wie er das mehr oder minder mit jeder Regierung tat … Ernsthaft befasste er sich eigentlich nur mit der Jagd, und er konnte auch jetzt kaum erwarten, dass er zu der spannenden Geschichte mit dem Hirsch würde zurückkehren dürfen, die er, als Abády eingetreten war, erst zur Hälfte erzählt hatte. Als man dann die Neuigkeiten abgehandelt hatte, konnte er endlich fortfahren: »Wie gesagt also, kaum war ich bei der dicken Buche angelangt, als auf der linken Seite ein Rehbock anfing zu schrecken. Was sollte ich tun? Ich dachte, am besten würde ich vorsichtig …«
    Bálint kehrte in den Roten Salon zu den Damen zurück.

    Die meisten Gäste waren unterdessen eingetroffen. Zwei nur fehlten: Botschaftsrat Graf Slawata und der andere Ehrengast, Fürst Montorio-Visconti, die am Morgen in Wien mit dem Auto abgefahren waren, auf die man aber jetzt, weit nach sechs Uhr, immer noch vergeblich wartete. Verborgene Besorgnis auf dem Gesicht der Hausherrin. Trotzdem setzte sie die nichtssagende mondäne Konversation mit ihren Gästen ruhig fort. Ab und zu warf sie einen Blick auf das Cheminée, auf dem eine mächtige, mit grünen und goldenen Figuren geschmückte bronzene Uhr stand; Chronos stieß die vor ihm kniende Psyche zurück – ein Meisterwerk von Pradier. Doch die Fürstin interessierte sich

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