Die Schrift in Flammen
spielte auch vor, wie er selber auf der Pirsch vorsichtig vorwärts schritt, imitierte das Röhren der Böcke sowie das aufmerksame Verhalten und die warnenden Kehllaute der Rothirsche. Und da er ein schwerer Mann war und sich abwechselnd nach rechts und nach links neigte, knarrte unter ihm der Stuhl bei jeder Bewegung ganz fürchterlich. In der Regel zerbrach er dann am Ende.
Antal Szent-Györgyi mochte darauf warten, darum vielleicht spielte ein spöttisches Lächeln um seinen Mund. Die beiden Schwäger bildeten einen scharfen Gegensatz; man könnte zu ihrer Charakterisierung sagen: der eine ein Windhund, der andere ein Mops. Szent-Györgyi war ein besonders hochgeschossener, dürrer Mann mit bläulich ergrauenden Haaren und einem schmalen Gesicht. Kollonich dagegen hatte blondes Haar und fleischige Wangen, zwischen deren Fettpolstern die feine, kleine Nase und die winzigen Augen beinahe verschwanden. Zum Schnurrbart hinzu umrandete noch – wie beim Kaiser – ein kurzgeschorener Backenbart sein Gesicht, während sich Szent-Györgyi mit einem englischen Schnauzbart begnügte.
Lubiánszky begrüßte die Eintretenden freudig. Dies einerseits darum, weil die Hirschgeschichte nun unterbrochen wurde – Jägersleute mögen dergleichen nur, wenn sie selber vortragen –, anderseits aber politisierte er gern, und die neuesten Ereignisse in Budapest, über die er nur durch die Zeitungen unterrichtet war, interessierten ihn sehr. Hierfür zeigte auch Szent-Györgyi Interesse, freilich anderer Art. Er war amtlicher Oberstallmeister am Hof, ein treuer Diener des alten Königs.
Onkel Louis zündete sich eine neue Zigarre an. »Was ist geschehen? Warst du dabei? Wie hat es sich zugetragen? Nun, erzähle! Erzähl schnell!«
László begab sich zurück zu den Mädchen. Bálint indessen bot man einen Sitz an, und die Runde hörte ihm aufmerksam zu. Es war die Sitzung vom 18. November, über welche die Leute Bescheid wissen wollten.
Stürmische Ereignisse hatten sich in der Hauptstadt abgespielt. Die Windstille des von Thaly vermittelten Friedens hatte von März bis Oktober gedauert. Danach erschien Ministerpräsident Tiszas Offener Brief an seine Wähler. Er kündigte darin für die Herbstsession die Reform der Hausordnung des Parlaments an. Es war ein in gerechtem Ton verfasster, staatsmännisch ausgeglichener Brief. Lesen wir ihn heute, nach der schweren Lehrzeit der seither vergangenen tragischen Jahre, so ist die Entrüstung, die er hervorrief, kaum mehr zu verstehen. Einigermaßen begreiflich wird er nur für den, der sich in die gekünstelte, vom wirklichen Leben abgehobene, mit Rechtsformeln, Gehässigkeit und Angeberei gesättigte Welt vertieft, die zu jener Zeit die ungarische Öffentlichkeit beherrschte.
Nach dem Erscheinen der Erklärung schlugen die damals noch zur Regierungspartei gehörenden Apponyi und Andrássy und selbst die Anführer der Opposition einen gemäßigten Ton an. Ihre Sprache zeugte von leiser Missbilligung und Besorgnis. Die tatsächlichen Häupter der äußersten Linken hingegen, die im Parlament zwei Jahre lang die Obstruktion veranstaltet hatten, entrüsteten sich sogleich. In Publikationen war bereits von Landesverrat, Gewalt und Freiheitsberaubung die Rede. In dieser zunehmend gespannten Atmosphäre des nahenden Sturms versammelte sich das Haus im November; Tisza unterbreitete seinen Entwurf und bat darum, eine Kommission zu bilden, die ihn vorweg prüfen sollte. Die kleinen Potentaten der Opposition wollten nicht einmal so viel zulassen, und auch die Anführer versperrten den Weg zur Einigung, indem sie in ihren Erklärungen allerlei formelle Vorwände vorbrachten.
Die öffentliche Meinung stand nun schon ganz im Banne des unvermeidlichen Zusammenpralls. Und jeder andere Gesichtspunkt verschwand, jede Beachtung der im Staatsleben geltenden Realitäten. Der Ministerpräsident machte zur militärpolitischen Vorlage umsonst auch Erklärungen über echte soziale und nationale Errungenschaften, die man unter normalen Umständen mit Jubel begrüßt hätte: die Herabsetzung der Militärdienstzeit auf zwei Jahre, die Ausstattung der Honvéd-Armee mit Artillerie – Maßnahmen, welche die Opposition seit Jahren gefordert hatte. All dies fruchtete nichts, war vergeblich. Die aufgepeitschten Leidenschaften riefen nach der ungarischen Kommandosprache, einem selbständigen Zollgebiet und einer eigenen Nationalbank. Die Opposition erklärte, dass sie die Revision der Hausordnung durch Obstruktion
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