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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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Kerzen. Er spielte gedämpfte Läufe, während die Gesellschaft sich versammelte. Endlich waren alle da. Man hatte einige Lehnstühle in die Mitte, vor den Eingang der Bibliothek gezogen; dort nahmen Fürstin Ágnes und die älteren Damen Platz. Hinter ihnen ihre Gatten, die das bereits begonnene Tarockspiel unwillig unterbrochen hatten. Als Einziger schritt der alte Kanizsay weiter und machte es sich auf dem mittleren Diwan an der Längswand bequem, dies vielleicht darum, weil er leicht schwerhörig war, oder um die schöne Frau Berédy aus der Nähe zu betrachten. Die Jugend verblieb bei der Tür zur Bibliothek, wo sie entlang der Wand die Kanapees besetzte. Als alle auf ihren Plätzen saßen, trat die schöne Fanny zurück, stellte sich neben László und begann zu singen. Schumanns »Mondnacht« war die erste Nummer. 8
    Sie sang schön, mit hervorragender Kultur. Ihre Stimme war nicht gerade gewaltig, doch sie klang warm und erwies sich in der tiefen Lage als nuancenreich. Sie sang aufmerksam, beinahe andächtig. Als ob sich die leichtfertige, stets ein wenig kokette Frau verwandelt hätte. Sie wurde einfach und aufrichtig. Plötzlich, ohne Übergang war es geschehen. Sie stand in gerader Haltung da, als hätte sie die Musik verzaubert. Ihre gewöhnlich verengten Augenlider, hinter denen sie sonst stets nach Beute zu spähen schien, öffneten sich allmählich immer weiter und weiter, als erlebte sie eine Vision, die abwechselnd näher kam und entrückte, je nachdem, ob die Melodie sich entfaltete oder ausklang; war sie am Schluss, dann schloss sie die Augen in Entsagung. Auf ihrer glatten Stirn über der Nasenwurzel zeigte sich hin und wieder eine kleine senkrechte Falte, die dann wieder verschwand, um bei ernsten Textstellen abermals zum Vorschein zu kommen …
    László hatte schon bei den ersten Tönen überrascht aufgeblickt. Die makellose Aussprache und die Verinnerlichung, die im Vortrag mitklang, waren für ihn unerwartet. Nun begleitete er sie nicht mehr nur aus Höflichkeit, sondern zur eigenen künstlerischen Freude. Man applaudierte diskret. Wie sich das in guter Gesellschaft ziemt.
    Die schöne Fanny nickte leicht, doch sah man ihr an, dass sie sich um das Publikum nicht im Geringsten kümmerte, sondern einfach glücklich war, singen zu dürfen. Sie wandte sich gleich zu Gyerőffy und legte ihm neue Noten vor. »Still wie die Nacht und tief wie das Meer«, ein altdeutsches Lied Köstlins.
    Vermutlich nahm László die Einleitung etwas schneller, als von der Frau gewünscht, denn mit der Hand suchte sie seine Schulter, und ihre Finger klopften darauf der Reihe nach das langsamere Tempo der Noten. Das war nun nicht die liebeskundige Hand, nicht jene, die nach dem Mann suchte. Sie vermittelte einzig die Gemeinsamkeit beim Musizieren, nichts anderes. Und sie blieb auf seiner Schulter, deutete dann und wann die Intonation, ein Ritardando und ein Accelerando an, um selbst in den kleinsten Einzelheiten eine Abstimmung zu erreichen. Und tatsächlich waren sie aufeinander eingestimmt, verbunden durch die leidenschaftliche Musik. Zugleich waren sie allein. Niemand befand sich in ihrer Nähe, und die flammenden Kerzen auf dem Flügel schienen sie wie ein Feuerwall von der Gesellschaft der Zuhörer auf der anderen Seite des Saals zu trennen.
    Weitere Lieder folgten: »Feldeinsamkeit« von Brahms, ein Lied von Paladilhe, »Psyché«, dann noch zwei wunderbare Vertonungen Schumanns.
    Die beiden versanken völlig in deren Wiedergabe. Sie hatten gar nicht bemerkt, dass sich die älteren Herren schon während der ersten Nummern einzeln hinausgeschlichen hatten – zurück in die Bibliothek, zurück zum Spieltisch. Später verzogen sich auch die meisten jungen Leute. Die beiden vorne lebten indessen nur für ihre Musik.
    Frau Berédy sang wohl schon seit einer Stunde, als die Gestalt des Butlers – lautlos wie der Geist von Hamlets Vater – in der Tür zur Bibliothek erschien und sich wortlos gegen die Hausherrin verbeugte. Dies bedeutete so viel, dass der Tee in den Salons zum Service bereitstand. Fürstin Ágnes kam das gelegen, denn es langweilte sie, so lange stumm zu sitzen, und sie wusste, dass es ihren Gästen ähnlich erging. Sie wartete reglos ab, bis Frau Berédy die Nummer beendete und sich daranmachte, die Noten des nächsten Lieds zu suchen. Da aber begab sie sich zu ihr. In der Haltung einer Königin rauschte sie durch den Saal, und mit gönnerischem Lächeln fragte sie: »Bist du nicht müde, meine

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