Die Schrift in Flammen
Gleiche, die Schaffung einer »Reichsverfassung«. Spukte nun Bachs und Schmerlings Geist, um in neuer Gestalt neue Kämpfe und neues Elend zu bringen?
Alles auf Statistik, auf reine Zahlen gründen, oh, wie einfach! Mithilfe von Zahlen lässt sich in einer Stunde hinter dem Schreibtisch alles lösen. Und alles auch verderben. Lösen, sehr wohl – wären nur alle Menschen eine Maschine gleichen Typs, machten sie nicht tausend voneinander abweichende individuelle Eigenschaften, Bestrebungen, Leidenschaften und Traditionen verschiedenartig, hätte nicht Schulung während Jahrhunderten auf dem und jenem Gebiet mannigfache, einander widersprechende Talente hervorgebracht, Hunderte von Arten bei der Neigung zur Erhaltung oder zur Auflösung von Staaten.
Die Monarchie um die Völker des Balkans erweitern, sie mästen, bis sie ein Hundert-Millionen-Reich wird? Nationen mit den verschiedensten Vergangenheiten und Kulturen zusammenpferchen und dann glauben, dies bedeute Stärke und nicht etwa Schwäche? Freilich, man könnte viele, viele Soldaten einziehen, aber die Dynastie wird nicht durch Bajonette aufrechterhalten, sondern durch jahrhundertealte Traditionen und durch Tausende von gesellschaftlichen Beziehungen. Was man da vorhat, wäre fast derselbe Irrsinn wie Erzherzog Maximilians Kaisertum in Mexiko!
Während der Fahrt im Wagen hatten ihn Slawatas Mitteilungen dermaßen überrascht, dass er gar nichts Treffendes zu antworten vermochte. Das ärgerte ihn jetzt, zumal er es zu den eigenen Schwächen zählte, dass er selten imstande war, gleich eine Erwiderung zu finden; die mögliche Replik kam ihm immer erst nachträglich in den Sinn.
Und jetzt, da er am Rande der Treibjagd saß, zeigte sich alles so klar! Es baute sich nicht im langsamen Hintereinander der Wörter und Sätze auf, nicht wie Mosaiksteine nach und nach ein Ganzes ergeben, sondern als ein fertiges Bild, das sich der Maler in seiner vollen Tiefe, mit seinen Farben und Zusammenhängen vorstellt.
»Sie sitzen wie eine Rodin-Statue da, wie der Penseur, ganz genau!«, lachte eine weibliche Stimme. Die schöne Frau Berédy stand neben ihm. Bálint bot ihr seinen Jagdstuhl an.
»Habe ich Sie in fesselnden Gedanken gestört? Sind Sie mir böse?«, fragte die Frau, während sie den ihr gebotenen Stuhl annahm.
»Oh, gewaltig!«, erwiderte Bálint den Scherz, und da er erst jetzt bemerkte, dass das Treiben zu Ende war und dass man nun auf das Gegentreiben würde warten müssen, ließ er sich neben der schönen Fanny nieder.
»Ich frage das nicht ohne Grund. Bei den Siebenbürgern weiß man nie, wie man empfangen wird.« Sie lachte abermals, und nach einer Entgegnung Bálints fuhr sie etwas ernsthafter fort: »Doch, es ist so. Sie selber wissen es nicht, aber ich sehe sehr wohl, dass Sie anders sind als die Hiesigen. Vielleicht individualistischer, nicht so aus dem gleichen Model gegossen wie die Leute hier, zumindest die Leute aus unseren Kreisen, und … man kann nicht so sicher sein, wer worauf und wie reagiert.«
»Vielleicht sind es unsere engeren Beziehungen zu den Bären, die …«
»Möglich. Bären? Die können sogar ganz gewinnende Kerle sein, die gutmütigen, ein bisschen schwerfälligen Bären. Aber nein, das ist es nicht. Außer Ihnen und Gyerőffy kenne ich ohnehin keine Siebenbürger, und ich sehe Sie nicht so, sondern eher wie ein anderes, zerstreutes Tier …«
»Vielleicht als Affen? Die Affen sind die meistzerstreuten«, scherzte der Mann.
»Nein. Eher wie irgendeine Falkenart. Als einen Falken, der in die Ferne blickt, immer in die Ferne … weit weg … und der das, was in der Nähe ist, nicht wahrnimmt.«
»Tatsächlich? Das klingt schon viel interessanter. Und was ist in der Nähe?«
Fanny streifte ihn mit einem raschen Blick: »Oh! Ich sage das nur so.« Und sie plauderte leichthin weiter, hüpfte aus Spaß von einem zum anderen Gegenstand, vielleicht um von der Bedeutung des vorhin Gesagten abzulenken.
»Hahn!«, riefen die nun schon in der Nähe schreitenden Treiber aus dem Dickicht. »Hahn!« Bálint sprang mit dem Gewehr hoch. Er holte einige nach oben strebende Vögel herunter und schoss auf dem Feld nebenan auch ein paar laufende Hasen, die Purzelbäume schlugen.
Die Treiber traten aus dem Wald heraus. Sie mussten nun zurück zu den Wagen, die drüben, am anderen Ende standen. Bálint ließ das Wild einsammeln und schlüpfte in seinen Pelz; die meisten, die zur Gesellschaft gehörten, waren inzwischen schon ein gutes
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