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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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bemerkte gar nicht, wie schlimm zerknittert die Kleider waren. In Simonvásár hatte er, als er ins Gästezimmer zurücklief, alles – Smoking, Sportanzug, eingefettete Jagdschuhe und Frackhemd – nur so in den Sack geworfen, hatte die Sachen verstaut, gewaltsam, mit der Faust bearbeitet, und zuletzt war er, um möglichst rasch alles hineinzuzwingen, mit dem Fuß auf den Sack getreten – mit einer Leidenschaft, als hätte sich darin Montorio, die Leiche des besiegten Montorio befunden.
    Nachdem er Ordnung gemacht hatte, kehrte er in den Tagesraum zurück. Jetzt tat ihm die ärmliche Hässlichkeit der Mietwohnung nicht weh. Im Gegenteil. Er fand es stilgemäß, dass der Weg hier begann, der Weg, der über schwindelerregende Erfolge weiter und weiter zur triumphalen Kunst führen würde, zum Durchbruch überall und in allem, zu Siegen auch in der großen, vornehmen Welt und vor allem zu Klára, zu diesem Engel, zu ihr, dem Engel, zu ihrem ewigen Besitz! Und die Eroberungen durch die Musik, der gesellschaftliche Aufstieg, sie sollten nicht mehr sein als Schmuck, Tand, Blumenkranz, Silber- und Goldschatz, einzig dazu tauglich, sie in großem Haufen der Frau zu Füßen zu legen, sie zu gürten und zu krönen, auf ihren blonden Mädchenkopf eine diamantene Gloriole zu setzen, um sie jenseits ihrer verschwenderischen Schönheit würdig anzubeten.
    Er ging im engen Zimmer auf und ab, blieb mit ausgestreckter Faust stehen, setzte den Gang fort und hielt wieder inne. Das Fieber, das ihn schüttelte, seit sich seine Lippen an Kláras Mund geheftet hatten, tobte in ihm mit zunehmender Macht. Er hätte die Wände erklettern, die ganze Welt an sich drücken mögen. Er öffnete das Fenster. Die Abendluft schlug ihm kalt entgegen. Unten die gewellte, braune Fläche des Museumsgartens. Dort, jenseits des würfelartigen, großen Bauwerks, ein dunkles Gebäude an der Ecke der Sándor-Straße: das Palais Kollonich. Dort gilt es nun, sich Zugang zu verschaffen – nicht als Kamerad, nicht als Unterhalter, nicht wie eine Grammofonplatte, die den Leuten gegen ihre Langeweile etwas vorspielt, nicht als Schütze, nicht als Tänzer, nicht als nützlicher Mann, nicht als armer Verwandter! Nein! Als Bräutigam, als Kláras Bräutigam und … und dann – ihm wurde schwindlig bei diesem nicht einmal vorstellbaren Gedanken – als Gatte, als ihr Gatte!
    Er verharrte am Fenster. Die Lampen auf dem Boulevard zogen sich in endlosen Reihen hin. Die Straßenbahnen klingelten, sie hielten kreischend und fuhren dröhnend los. Dampf schwebte über den Häusern in matter Beleuchtung. Lange stand er regungslos über der Wildnis der Dächer. Er fühlte sich auch innerlich obenauf – als ein Herrscher, als eine Macht. Die unterwürfige Empfindung der Zweitrangigkeit, die ihn so viele Jahre niedergehalten hatte, war aus ihm spurlos verschwunden. Der Kuss, Kláras langer Kuss, hatte ihn heute und ein für alle Mal erlöst. Wie ein Konquistador, so fühlte er sich, wie Cortés, der nach Mexiko auszog.
    Er breitete die Arme gegen die nächtliche Stadt aus, weit breitete er sie aus, als wollte er das All umarmen.

    8 Alle Titel und zitierten Textanfänge, soweit es sich um deutsche Lieder handelt, deutsch im Original (A.d.Ü.)

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Dritter Teil

I.
    Bálint Abády reiste Mitte Dezember zurück nach Siebenbürgen. Er nahm den Nachtzug, der Budapest abends um elf Uhr verließ. Es handelte sich um einen bequemen Zug mit gewöhnlich wenig Reisenden. Zwar kam er schon am Morgen gegen sechs in Klausenburg an, doch dort würde ihn ja seine Wohnung erwarten, ein warmes Bad, und hernach könnte er, wenn es ihn danach gelüstete, seinen Schlaf verlängern. Sie rollten aus dem Ostbahnhof erst um Mitternacht hinaus, denn der Schnellzug aus Wien, den man hatte abwarten müssen, war mit großer Verspätung angekommen. Schneestürme hatten ihn behindert. Der Winter von 1904/05 begann mit sehr strengem Wetter.
    Erinnerungen an die letzten Tage meldeten sich bei der langen Warterei und später im Bett des Schlafwagens. Er dachte über das Erlebte nach, durchging es immer wieder und konnte lange nicht einschlafen. Der Zug ratterte im Dreivierteltakt: Tschi-schu-schu! Tschi-schu-schu! Und das wiederholte er fortwährend in beinahe spöttischer Eintönigkeit. Er hatte sich bis zum Hals zugedeckt, und es kam ihm vor, als flüchtete er. Als flüchtete er vor der Stellungnahme. Und

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