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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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Wendeltreppe herum und weiter bis zur Tür, die sich gegenüber der Salontür befand und die in die Bibliothek ging. Hier verlangsamte sich ihr Gang, und sie wandte sich zurück. An den Türrahmen gelehnt, blickte sie László ins Gesicht. Als fragte, als erwartete sie etwas … Jetzt, jetzt wird er das Mädchen umarmen, wird sie küssen. Sie will es ja. Siehst du nicht, du Esel, dass sie es will?
    Zuvor aber warf er unwillkürlich einen Blick auf die Tür drüben, auf die Tür von Tante Ágnes. Sollte sie sich öffnen, und sollte die Tante ihn da zu Gesicht bekommen, sie würde ihn gewiss für immer aus dem Haus verbannen. Vielleicht hatte Klára den raschen Blick hinüber begriffen, denn sie zog sich von ihm zurück und bemerkte leichthin: »Du hast mein neues kleines Zuhause noch gar nicht gesehen. Papa hat für mich dieses Zimmer auffrischen lassen.« Sie öffnete die Tür; die beiden gingen hinein. Es war ein Zimmer mit einem Fenster und Möbeln in englischem Stil, alles in blumengemustertem, glänzend weißem »Chintz«, womit man selbst die Wände bespannt hatte.
    »Schön, nicht wahr? Und dieses glatte Leinen fühlt sich so kühl an. Eine Freude, es zu betasten!«
    Sie traten neben den offen gebliebenen Türflügel, bei dem ein Schubladenkasten stand. Das Mädchen legte die flache Hand an die Wand: »Frisch, geradezu eingekühlt!« Sie waren einander so nahe, dass ihr Busen bei dieser Bewegung den Arm des Mannes berührte.
    Dieser umarmte nun endlich das Mädchen. Ihre Lippen verschmolzen. Es war ein langer, hungriger, unendlich scheinender Kuss. Kláras Hand flog auf Lászlós Schulter. Leicht, als ob sich dort ein Vögelein niedergelassen hätte, dann kletterte sie nach und nach hinauf zum Nacken, und die Finger spreizten sich suchend zwischen seinen Locken. Der Kuss war lang, endlos, und als nähme er ihr allmählich alle Kraft, lag der Körper der Frau ganz in den Armen des jungen Mannes; es war ein weicher, hingebungsvoller Körper, weich und federnd, ganz ohne Härte, ganz nur Sehnsucht. Der Kuss endete erst, als sie zu ersticken drohten; erst als sie wieder Atem holen mussten, ließen sie voneinander ab.
    »Du musst gehen«, sagte Klára kaum vernehmlich. »Geh jetzt, du musst.« Und mit ausgestreckter Hand hielt sie László von sich fern.
    »Geh, vielleicht sucht man dich! … Der Wagen steht schon vor dem Haus.«

    László kam es unterwegs – in der Kalesche auf der holprigen Straße und hernach im Zug – vor, als reiste er im Schiff auf bewegter See, als zöge er in einem graurosa Nebel, im Dunst dahin, der sich über die Welt legte. Draußen herrschte in Wirklichkeit sonniges, trockenes, kaltes Wetter, nüchtern sonnenbeschienene Äcker und verdorrte Felder lösten sich ab. Doch auf ihn wirkte all dies wie im Märchen. Als sich das Fenster in Fehérvár verdunkelte, hatte dies ein Zauber, nicht das Dach des Bahnhofs bewirkt; der Glanz des Velence-Sees, der von Eis gesäumte Wasserspiegel, das Gewirr des Schilfdickichts das Ufer entlang, all dies gehörte in eine Feenlandschaft; alles war unwirklich, greif- und sichtbar nur für ihn, unbekannte, neue, von niemandem je gesehene Traumbilder, die außer ihm auch niemand je zu Gesicht bekommen würde. Die Bewegung um ihn machte ihn schwindlig, alles huschte an ihm vorbei, der eigene Weg war ein Gleitflug, wie auf Schwalbenschwingen, fort in eine selige Vernichtung. Er saß beim Fenster, schaute hinaus, sah aber nichts wirklich, denn aus der Mitte jedes äußeren Bilds blickten ihn zwei Augen an, Kláras meerfarbene Augen, ihr erwartungsvoller, rufender Blick, der sich ihm zugewandt hatte, bevor sie im wilden Rausch ihres Kusses die Lider schloss.
    In diesem Fieber, dieser glücklichen Entrückung kam er in Budapest an. Ihm schien die Reise Sekunden gedauert zu haben. Die Lichter der Hauptstadt, die er von der Eisenbahnbrücke erblickte und die sich im gewaltigen Strom verdoppelten, der Barossplatz und seine Bogenlampen, die vierfache Leuchterreihe der Rákóczi-Straße, die Fülle an Glanz, all dies bedeutete reiche Freude und Pracht, als hätte man die Stadt zu seiner Ankunft und seinem Triumph mit hunderttausend Fackeln in eine unendliche Festbeleuchtung getaucht. Der Hausknecht brachte hinter ihm die Toilettentasche und den Steifleinensack hinauf zu seiner kleinen Wohnung an der Museumstraße, während er mit dem Gewehretui auf der Treppe vorauseilte. Hastig packte er aus. Benommen, aufs Geratewohl legte er seine Sachen in die Schränke. Er

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