Die Schuld der Väter (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
doppelt so groß und zehnmal so bösartig sind wie er.
Doch für gewöhnlich ist das in jeglicher Hinsicht eine Lüge. Oftmals werden die Opfer im Zeugenstand von Verteidigern auseinander genommen, die an ihrer Glaubwürdigkeit zweifeln, ihren Ruf in Frage stellen und ihnen vorhalten, sie hätten sich das Ganze entweder nur eingebildet oder wären zunächst einverstanden gewesen und hätten es sich hinterher anders überlegt.
Ich habe einmal gehört, wie ein alter Gewohnheitsverbrecher sagte: »Im Knast ist es nicht mehr so, wie’s mal war. Die Kriminellen, mit denen man’s zu tun hat, sind einfach nicht mehr so wie früher.« Jeder altgediente Ordnungshüter wird einem, wenn er ehrlich ist, wahrscheinlich erklären, dass ihn die Straftäter anekeln, mit denen er sich heutzutage abgeben muss. So schlimm die Kriminellen zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise auch gewesen sein mögen, sie besaßen doch gewisse Eigenschaften, die jeder Amerikaner bewundert. Die meisten stammten aus Farmerfamilien im Mittelwesten und waren weder Sexualverbrecher noch Serienmörder. Für gewöhnlich schädigten sie Banken oder die Bundesregierung und legten es zumindest ihrer Meinung nach nicht darauf an, den einfachen Leuten etwas zuleide zu tun. Selbst ihre schärfsten Gegner, normalerweise Texas Ranger oder FBI-Agenten, hielten ihnen zugute, dass sie mutig waren und tapfer starben, weder um Gnade flehten noch Ausflüchte für ihre Untaten vorbrachten.
Clyde Barrow wurde während seiner Haft im Eastham State Prison erbarmungslos mit dem Schlagstock verdroschen und musste an jedem Werktag zwei Meilen weit zu den Baumwollfeldern und wieder zurück zum Zellentrakt rennen. Er schwor, dass er sich eines Tages nicht nur für die Brutalitäten rächen würde, die er dort erlitten und erlebt hatte, sondern auch als freier Mann nach Eastham zurückkehren und jeden Häftling herausholen würde, den er befreien konnte. Nachdem er auf Bewährung entlassen worden war, drangen er und Bonnie Barker mit Waffengewalt in die Haftanstalt ein, schössen sich dann den Fluchtweg frei und entkamen mit fünf Sträflingen, die sie in ein gestohlenes Auto geladen hatten.
Doc Barker und vier andere Männer stiegen über die Gefängnismauer von Alcatraz und waren schon so gut wie frei, mussten nur noch auf das Schlauchboot, das im seichten Wasser vor der Insel auf sie wartete, als sich einer der Männer den Knöchel verstauchte. Die anderen vier kehrten seinetwegen um, wurden von den Suchscheinwerfern erfasst und mit Schnellfeuerwaffen zusammengeschossen. Bezeichnenderweise nannte die Gefängnisleitung den felsigen Sandstrand, an dem sie starben, Barker Beach.
Lester Gillis, auch bekannt als Baby Face Nelson, erklärte dem FBI den Krieg und machte Jagd auf Bundesagenten, als wäre ihm ein Unrecht geschehen. Er hatte ihre Fotos samt Namen und Autonummern in seinem Wagen dabei, wendete sogar am letzten Tag seines Lebens auf offener Straße und verfolgte zwei von ihnen, drängte sie in den Straßengraben und lieferte sich ein Feuergefecht mit ihnen, das über eine Stunde dauerte und in dessen Verlauf Gillis von siebzehn Kugeln getroffen wurde.
Er schaffte es noch, davonzufahren und die Sterbesakramente zu empfangen.
Helen öffnete die Tür zu meinem Büro, ohne vorher anzuklopfen, und kam herein. »In Gedanken verloren?«, sagte sie.
»Was gibt’s?«
»Der Barkeeper vom Boom Boom Room sagt, dass Marvin Oates die nähere Umgebung unsicher macht. Der Skipper möchte, dass er einkassiert wird«, sagte sie.
»Schick eine Streife hin«, sagte ich.
»Marvin ist mit Jimmy Dean Styles aneinander geraten.«
Ein Regentropfen schlug an die Fensterscheibe.
»Ich hole meinen Hut«, sagte ich.
Wir besorgten uns einen Streifenwagen und passierten die Stadtgrenze, überquerten die Zugbrücke, die bei einem dichten Pekanwäldchen über den Teche führte, und fuhren in die schwarze Slumsiedlung, in der sich Jimmy Stys Boom Boom Room befand. Als Helen aus dem Auto stieg, schob sie ihren Schlagstock in den Ring an ihrem Waffengurt.
Styles, dessen Gesicht immer noch von den Schlägen geschwollen war, die ich ihm verpasst hatte, stand hinter der Bar. Der Raum war dunkel, von der erleuchteten Bierreklame an der Wand und dem Schein der Jukebox in der Ecke einmal abgesehen. Zwei schwarze Frauen mit dick geschminktem Mund und zerzausten Haaren saßen am anderen Ende der Bar und hatten Gläser mit billigem Fuselwein vor sich stehen.
»Hey, mein guter Lousiana Chuck, ich hab
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