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Die Schuld des Tages an die Nacht

Titel: Die Schuld des Tages an die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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haben unsere Hände und Herzen nicht verschlissen, damit alles in Rauch aufgeht … Diese Erde erkennt die Ihren. Und die Ihren, das sind wir , denn wir haben ihr gedient, wie man nur selten der eigenen Mutter dient. Uns gegenüber ist sie verschwenderisch, weil sie weiß, dass wir sie lieben. Den Rebensaft, den sie uns schenkt, den trinkt sie mit uns. Horch genau hin, dann verstehst du, was sie dir sagt – dass wir jede Krume unserer Felder wert sind, jede Frucht unserer Bäume. Wir haben eine tote Gegend vorgefunden, und wir haben ihr eine Seele eingehaucht. In ihren Flüssen rinnt unser Blut, unser Schweiß. Und niemand, Monsieur Jonas, ich wiederhole: Niemand, weder hier noch sonst wo auf der Welt, könnte uns je das Recht streitig machen, ihr bis ans Ende aller Zeiten zu dienen. Und schon gar nicht diese lausigen Tagediebe, die meinen, sie könnten uns das Gras unter den Füßen wegsicheln, indem sie ein paar arme Teufel ermorden.«
    In seiner Faust zitterte das Glas, so aufgewühlt war er. Sein Blick wurde bohrender.
    »Dieses Land ist nicht ihr Land. Wenn es reden könnte, würde es sie verfluchen, wie ich sie jedes Mal verfluche, wenn ich sehe, dass in der Ferne wieder ein Hof Opfer frevlerischer Flammen wird. Wenn sie denken, wir lassen uns davon einschüchtern, verschwenden sie ihre Zeit. Und die unsere dazu. Wir werden niemals nachgeben. Algerien ist unsere Erfindung. Das Beste, was wir je zustande gebracht haben. Wir werden nicht dulden, dass unreine Hände besudeln, was wir gesät und geerntet haben.«
    Jähblitzte vor meinem inneren Auge auf, was ich längst in den tiefsten Verliesen meines Unterbewusstseins begraben wähnte: das Bild des schamroten Abdelkader auf dem Podest in meiner Volksschulklasse. Ich sah ihn deutlich vor mir, wie er mit schmerzverzerrtem Gesicht dastand, während der Lehrer ihm das Ohr verdrehte. Schrill explodierte die Stimme von Maurice in meinem Kopf: Weil die Araber alle faul sind, Monsieur! Eine Schockwelle durchlief meinen Körper wie eine unterirdische Detonation die Gräben einer Festung. Die gleiche Wut, die mich damals in der Schule gepackt hatte, stieg auch jetzt wieder in mir hoch. Auf gleiche Art. Wie sprudelnde Lava. Aus den Tiefen meiner selbst. Urplötzlich verlor ich das Ziel meines Besuchs aus den Augen, die Gefahr, in der Djelloul sich befand, die furchtbare Angst seiner Mutter. Ich sah nur noch Monsieur Sosa vor mir, wie er da stand, auf dem Gipfel seiner Arroganz, sah den krankhaften Glanz seines übersteigerten Hochmuts, der dem Tag einen fauligen Anstrich verlieh.
    Ohne mir klarzumachen, was ich tat, unfähig, mich zurückzuhalten, richtete ich mich vor ihm auf und erklärte mit schneidend scharfer Stimme, ohne einmal zu holpern:
    »Vor sehr langer Zeit, Monsieur Sosa, lange vor Ihnen und Ihrem Urururgroßvater, stand ein Mann an dieser Stelle, wo Sie jetzt stehen. Als er den Blick über diese Ebene schweifen ließ, konnte er nicht anders, als mit ihr eins zu werden. Es gab weder Straßen noch Eisenbahnschienen, und weder Mastixbäume noch Dornengestrüpp störten ihn. Jeder Fluss, ob tot oder lebendig, jeder Schattenfleck, jeder Stein war für ihn das Spiegelbild seiner eigenen Demut. Dieser Mann war ohne Arg, er war selbstsicher und vertrauensvoll. Weil er frei war. Er hatte nichts als eine Flöte dabei, mit der er seine Ziegen beruhigte, und einen Knüppel, mit dem er die Schakale vertrieb. Wenn er sich am Fuße dieses Baums hier niederließ, musste er nur die Augen schließen, und schon war er am Puls des Lebens. Das Fladenbrot und die Zwiebel, die er aß, wogen tausend Festmähler auf. Zu seinem Glück fand er sein Wohl in der Genügsamkeit. Er lebteim Rhythmus der Jahreszeiten, überzeugt, dass es die einfachen Dinge sind, die der Seele ihren Frieden bringen. Und weil er niemandem Böses wollte, wähnte er sich vor Angriffen sicher. Bis zur Stunde, da er am Horizont, den er mit seinen Tagträumen belebte, den Konflikt heraufziehen sah. Man nahm ihm seine Flöte und seinen Knüppel weg, seine Ländereien und seine Ziegenherden und alles, was seiner Seele Balsam war. Und heute will man ihm weismachen, dass er nur rein zufällig in dieser Gegend war, und man ist überrascht und regt sich auf, wenn er nur einen Hauch von Achtung für sich einfordert … Nein, Monsieur, so läuft das nicht. Ich bin ganz und gar nicht Ihrer Meinung. Dieses Land gehört nicht Ihnen. Es ist Eigentum jenes Hirten von einst, dessen Phantom an Ihrer Seite schwebt und den Sie

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