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Die Schuld des Tages an die Nacht

Titel: Die Schuld des Tages an die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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breitbeinig hin wie ein Polizist, der einem den Zugang zu einem Gebäude untersagt:
    »Jetzt fällt dir also wieder ein, dass du eine Familie hast?!«
    Sie hatte sich sehr verändert. Ihre üppigen Konturen waren erschlafft und ihr Kinn, einst so energisch, war mit dem Hals verschmolzen. Sie bestand nur noch aus schwammigem Fettgewebe ohne Saft und Kraft.
    Ich wusste nicht, ob sie mich neckte oder mir zürnte.
    »Deine Mutter ist mit deiner Schwester unterwegs«, erklärte sie und deutete auf die geschlossene Tür unseres Verschlags. »Aber sie kommt bestimmt bald zurück.«
    Mit dem Fuß schob sie eine Wanne voll Wäsche zur Seite und beförderte einen Hocker zutage, den sie mir zuschob.
    »Setzdich, nun mach schon«, forderte sie mich auf. »Ihr seid doch alle gleich, ihr Blagen. Erst saugt ihr euch an uns fest, bis wir völlig vertrocknet sind, und kaum könnt ihr kriechen, macht ihr euch davon und lasst uns bettelarm zurück. Ihr schleicht euch davon wie eure Väter und pfeift darauf, was aus uns wird.«
    Sie hatte mir schon wieder den Rücken zugekehrt und hängte weiter ihre Wäsche auf. Ich sah nur ihre gebeugten Schultern, die sich schwerfällig bewegten. Ab und zu hielt sie inne, um sich zu schnäuzen oder eine Träne wegzuwischen, fuhr dann kopfschüttelnd fort, ihre ausgewrungenen Kleider über einem alten Hanfseil, das quer durch den Hof gespannt war, auszubreiten.
    »Deiner Mama geht es nicht gut«, fuhr sie fort. »Es geht ihr ganz und gar nicht gut. Deinem Vater ist garantiert irgendein Unglück zugestoßen, und sie, sie verschließt die Augen davor. Es gibt ja viele, die lassen ihre Familien im Stich und fangen anderswo ein neues Leben an, aber wenn’s nur das wäre … Heutzutage ist man ja nirgends mehr vor einem Überfall sicher. Ich habe so ein Gefühl, dass dein Vater, der Ärmste, kaltgemacht wurde und jetzt irgendwo im Straßengraben liegt. Dein Vater war ein feiner Kerl. Das sieht ihm gar nicht ähnlich, seine Kinder einfach so im Stich zu lassen. Er wurde bestimmt abgemurkst. Wie mein armer Ehemann. Um die Ecke gebracht für drei erbärmliche soldis , drei Centime. Mitten auf der Straße. Paff! Mit einem Messerstich in die Lende. Ein einziger Stich, und alles ist vorbei. Alles. Wie ist es möglich, dass einer so mir nichts, dir nichts über den Jordan geht, wenn er einen Haufen Mäuler zu stopfen hat? Wie kann man sich von einem jungen Kerl, einem halben Kind noch, so fertigmachen lassen …?«
    Und Badra redete und redete, ohne auch nur einmal Atem zu holen. Als wäre in ihrem Inneren die Büchse der Pandora aufgesprungen. Redete, als könne sie sonst nichts anderes tun, sprang von einem Drama zum nächsten, zuckte hier resigniert die Achseln, verfiel dort plötzlich in Schweigen. Ich sah ihre Schultern hinter der ersten Wäschereihe beben, unten lugten die nackten Waden hervor, und von Zeit zu Zeit blitzten die Fett wülsteihrer Hüfte zwischen den aufgehängten Kleidungsstücken hindurch. Von ihr erfuhr ich, dass die schöne Hadda mit ihren beiden Bälgern im Arm und nichts als einem schmalen Bündel auf dem Rücken vom Makler Bliss aus dem Patio gejagt worden war; dass die unglückliche Yezza, die von ihrem Trunkenbold von Ehemann furchtbar verprügelt worden war, sich in einer Gewitternacht in den Brunnen gestürzt hatte, weil sie es nicht länger aushalten konnte; dass Batoul, die Seherin, den Elenden, die sie konsultieren kamen, genügend Geld abgeluchst hatte, um sich einen Hammam und ein Haus im Village nègre zu leisten; dass die neue Mieterin, die wer weiß welcher Hölle entronnen war, zur Stunde, da alle Läden dicht sind, ihre Tür dem Lotterleben öffnete; und dass sich Bliss jetzt, da kein Mann mehr im Patio war, wie ein Zuhälter zu benehmen begann.
    Als sie die ganze Wäsche aufgehängt hatte, schüttete sie das Waschwasser in den Abfluss, ließ den Saum ihres Kleides herunter und verschwand in ihrem Rattenloch, wo sie weiter laut vor sich hin schimpfte, bis meine Mutter zurückkam.
    Meine Mutter zeigte keinerlei Überraschung, als sie mich auf dem Hocker im Hof sitzen sah. Sie hätte mich fast nicht wiedererkannt. Als ich aufstand und sie umarmen wollte, wich sie leicht zurück. Erst als ich mich beharrlich an sie schmiegte, schlossen sich ihre Arme nach einigem Zögern um mich.
    »Warum bist du gekommen?«, fragte sie wieder und wieder.
    Ich kramte das Geld hervor, das Germaine mir für sie mitgegeben hatte, aber ich konnte es ihr gar nicht überreichen. Schneller als

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