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Die Schuld des Tages an die Nacht

Titel: Die Schuld des Tages an die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmina Khadra
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Das Meer war himmlisch und der Horizont so klar, dass man die Habibas-Inseln sehen konnte. Fabrice und ich dösten unter dem Sonnenschirm vor uns hin, während Simon seine albernen Bermudas freudig vorführte und das Publikum mit lustigen Kopfsprüngen unterhielt. Er hoffte, einem Mädel ins Auge zu stechen, aber seine Indianerschreie verschreckten die Kinder und verärgerten die älteren Damen in ihren Liegestühlen. Jean-Christophe führte unterdessen am Strand seinen Bizeps vor und stolzierte mit eingezogenem Bauch umher, die Hände in die Hüften gestemmt, um das markante V seines Rückens zu betonen. Nicht weit von uns hatten die Sosa-Cousins ein Zelt aufgebaut. An drézog gern alle Augen auf sich. Hatten die anderen Klappstühle dabei, kam er mit einem Zelt angerückt; bauten sie im Sand einen Wigwam auf, konterte er mit einer Karawanserei. Mit achtzehn Jahren besaß er bereits zwei Autos, unter anderem ein Cabrio, mit dem er in Oran renommierte, falls er nicht gerade mitten in der Siestazeit durch Río donnerte. An diesem Tag war ihm nichts Besseres eingefallen, als Djelloul, seinen Dienstburschen, zu drangsalieren. Er hatte ihn gerade dreimal ins Dorf geschickt, unter sengender Sonne. Das erste Mal, um Zigaretten zu holen, das zweite Mal wegen Streichhölzern, das dritte Mal, weil Monsieur die Marke Bastos verlangt hatte und keine Maurerzigaretten. Das Dorf war einen Fußmarsch weit entfernt. Der arme Djelloul schmolz dahin wie ein Eiswürfel.
    Fabrice und ich hatten das Spielchen von Anfang an verfolgt. André erkannte, dass die Art, wie er seinen Bediensteten behandelte, uns aufbrachte, und es bereitete ihm eine diebische Freude, uns noch mehr auf die Palme zu treiben. Kaum war Djelloul wieder da, schickte er ihn zum vierten Mal los, diesmal, um ihn einen Dosenöffner aus dem Dorf holen zu lassen. Der Dienstbursche, ein schmächtiger Jugendlicher, machte ergeben auf dem Absatz kehrt und schickte sich an, den zu dieser Nachmittagsstunde glühenden Hang zu erklimmen.
    »Hab doch ein bisschen Nachsicht mit ihm, Dédé!«, protestierte sein Cousin José.
    »Das ist die einzige Möglichkeit, ihn wach zu halten«, entgegnete André und verschränkte die Hände im Nacken. »Wenn du ihn nur einen Moment in Ruhe lässt, hörst du ihn in der nächsten Minute schnarchen.«
    »Es sind mindestens 37 Grad«, schaltete Fabrice sich ein. »Der arme Teufel ist aus Fleisch und Blut wie du und ich. Er bekommt noch einen Sonnenstich.«
    José stand auf, um Djelloul zurückzurufen. André packte ihn beim Handgelenk und nötigte ihn, sich wieder zu setzen.
    »Das lass mal meine Sorge sein, José. Du hast ja keine Dienst boten,du weißt gar nicht, wie das ist … Die Araber sind wie Tintenfisch; man muss sie schlagen, damit sie mürbe werden.«
    Da fiel ihm ein, dass auch ich einer war, und er korrigierte sich:
    »Na ja … manche Araber jedenfalls.«
    Als ihm dämmerte, was für eine unverzeihliche Ungeheuerlichkeit ihm da entfahren war, sprang er auf und lief zum Wasser.
    Wir sahen ihm nach, als er davonschwamm und dabei riesige Fontänen aufwirbelte. Im Zelt hatte sich verlegenes Schweigen breitgemacht. José hatte Mühe, seine Empörung im Zaum zu halten; seine Kiefer mahlten hektisch. Fabrice klappte das Buch zu, das er gerade las, und schaute mich streng an.
    »Du hättest ihm den Mund verbieten müssen, Jonas.«
    »Weswegen?«, entgegnete ich widerstrebend.
    »Wegen der Araber natürlich. Das war doch nicht auszuhalten, was er da von sich gegeben hat. Ich hätte erwartet, dass du ihn an seinen Platz verweist.«
    »An seinen Platz … Da ist er längst, Fabrice. Nur ich, ich weiß langsam nicht mehr, wo der meine ist.«
    Ich nahm mein Badetuch und lief schnurstracks zur Straße zurück, um den Daumen Richtung Río in die Höhe zu recken. Fabrice kam hinterher. Er versuchte, mir auszureden, so früh nach Hause zurückzukehren. Mir war alles verleidet, der Strand kam mir plötzlich so unwirtlich wie eine wilde Insel vor … Da krachte ein viermotoriges Flugzeug in die geruhsame Stille der Badenden, schrammte knapp über dem Hügel entlang. Eine Rauchwolke stieg von seiner Flanke auf.
    »Sie brennt!«, schrie José entsetzt. »Die Maschine wird gleich am Fels zerschellen …«
    Der defekte Flieger verschwand hinter dem Bergkamm. Alle am Strand waren aufgestanden, hielten die Hand als Schirm über die Augen und warteten auf die Explosion oder zumindest eine Feuerwolke, die den Ort des Absturzes anzeigte … Nichts. Das Flugzeug

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