Die Schuld des Tages an die Nacht
der anderen und blieb der vorhergehenden zum Verwechseln ähnlich. Höchste Zeit für einen Mentalitätswandel. Und André hatte dafür keinen besseren Ausgangspunkt gefunden als eine Snackbar im kalifornischen Stil! Sie sollte uns der tumben Vorgestrigkeit entreißen, die das Resultat unserer blökenden Willfährigkeit war, und uns mit Leib und Seele in den Strudel wilder Lebenslust werfen.
Die Snackbar befand sich hinter der Weinkellerei R. C. Kraus auf dem Stück Brachland am Dorfrand, wo wir als Kinder früher Fußball spielten. An die zwanzig Tische standen auf dem Kies, von weißen Stühlen und Sonnenschirmen umgeben. Angesichts der Wein- und Limonadekästen, der Obstkörbe und Grillstände, die an allen vier Ecken des Hofs aufgebaut waren, entspannten wir uns ein wenig.
»Wir werden mampfen, bis uns der Bauch platzt!«, jubelte Simon.
Djelloul und einige Angestellte deckten gerade die Tische ein und verteilten die Aschenbecher und Wasserkaraffen. An dréund sein Cousin José posierten breitbeinig auf der Vortreppe zur Snackbar, einen Cowboyhut lässig in den Nacken geschoben und die Daumen unter der Gürtelschnalle.
»Jetzt fehlt dir nur noch eine Rinderherde!«, rief Simon André zu.
»Gefällt dir meine Snackbar etwa nicht?«
»Hauptsache, es gibt zu essen und zu trinken.«
»Dann mecker nicht rum, sondern hau rein …«
Er kam die Stufen herunter, umarmte uns und nutzte die Gelegenheit, Simon zwischen die Beine zu greifen.
»Nicht an die Nüsse!«, protestierte Simon und rückte ab.
»Hab dich nicht so! Das sind doch taube Nüsse, damit holst du kein Eichkätzchen vom Baum«, ulkte André, während er uns drei in Richtung Bar schob.
»Was wollen wir wetten?«
»Was du willst … Hey, heute Abend werden hier die schönsten Mädchen auftauchen. Wenn du es schaffst, auch nur einem einzigen ins Auge zu stechen, dann spendier ich dir das Hotelzimmer. Und zwar im Martinez !«
»Die Wette gilt!«
»Dédé, der ist von echtem Schrot und Korn«, bemerkte José fast feierlich, für den sein Cousin ein Ausbund an Schneid und Rechtschaffenheit war. »Was der einmal sagt, das nimmt er nicht zurück.«
Sprach’s und trat zur Seite, um uns durchzulassen, im Bewusstsein, den großen Cousin an seiner empfindlichsten Stelle gekitzelt haben.
André führte uns seine »Revolution« vor. Das war wirklich kein Vergleich zu den Cafés der Region. Die Snackbar war um einiges farbenfroher. Hinter der Theke war ein riesiger Spiegel angebracht, auf dem man die filigrane Silhouette der Golden Gate Bridge erahnte, davor standen hohe gepolsterte Hocker. Auf Messingregalen drängten sich Flaschen und Nippes, dazu hübsche Leuchtschilder und praktische kleine Objekte. An den Wänden hingen große Poster der berühmtesten Hollywood Schauspieler.Deckenleuchten verbreiteten gedämpftes Licht im Raum, den Fenstervorhänge in angenehmes Halbdunkel tauchten, während Wandlämpchen die Nischen mit rubinroten Schatten belebten. Die Sitzbänke waren am Boden festgeschraubt und angeordnet wie im Eisenbahnabteil, separiert durch rechteckige Tische, auf denen man unberührte amerikanische Landschaften bewundern konnte.
Das Herzstück des angrenzenden Raums war ein Billardtisch. Kein einziges Café in Río oder Lourmel verfügte über einen Billardtisch. Der, den André seiner Kundschaft anbot, war ein wahres Kunstwerk, angestrahlt von einer Lampe, die so tief hing, dass sie schon fast den Tisch berührte.
André griff sich einen Billardstock, rieb die Spitze mit einem Stück Kreide ein, beugte sich über den Rand des Billardtischs, rückte den Stock zwischen den Fingern der aufgestützten Hand zurecht, zielte auf ein paar bunte, zum Dreieck zusammengeschobene Kugeln in der Mitte des grünen Tuchs und stieß kurz und kräftig zu. Das Dreieck zerstob, und die Kugeln prallten von sämtlichen Tischkanten zurück.
»Ab heute«, erklärte er, »geht man nicht mehr zum Saufen in die Bar. Zu mir kommen die Leute zum Billardspielen. Und passt mal auf, das hier ist nur die erste Lieferung, ich erwarte vor Monatsende noch drei weitere Billardtische. Ich habe vor, Regionalmeisterschaften durchzuführen.«
José lud die anderen zu einem Bier, mich zu einer Limo ein, und schlug uns vor, schon mal einen Tisch im Hof zu besetzen, bis die anderen Gäste einträfen. Es war gegen siebzehn Uhr. Die Weinfelder leuchteten im schrägen Licht der Abendsonne, die langsam hinter die Hügel glitt. Vom Hof hatte man freie Sicht auf die Ebene und die
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