Die Schuld wird nie vergehen
aber er enthielt sich jedes Kommentars. Er respektierte seine beste Reporterin und würde sich hüten, sie zu fragen, was passiert war, wenn sie es ihm nicht freiwillig erzählen wollte. Gorman wusste, dass er von Glück reden konnte, eine so talentierte Schreiberin wie Vanessa an Bord zu haben. Die meisten Reporter mit ihrer Intelligenz und Fähigkeit flüchteten zu angeseheneren Zeitschriften, sobald sie eine Chance bekamen. Obwohl er die Gründe kannte, die ihr das verwehrten, verwendete er es nie gegen sie.
»Ich habe da vielleicht was für dich«, erklärte Gorman.
»Bei einem Baseballspiel der Little League in Oregon gab es eine Schlägerei. Ein Trainer hat einen Cop aufs Kreuz gelegt, und ein anderer Beamter hat ihn niedergeschossen.« »Du machst wohl Witze!«
»Dabei ist das nicht mal das Beste. Der Trainer, der abgeknallt wurde, hätte beinahe den Vater eines der Kinder umgebracht. Er hat ihm einen Kugelschreiber in den Hals gerammt.«
Vanessa war fassungslos. »Bist du sicher, dass das bei einem Basespiel von Kindern passiert ist? Es klingt eher nach professionellem Wrestling.«
»Ich habe einen Bericht im Radio gehört. Geh der Sache nach und sag mir, ob deiner Meinung nach etwas für uns dabei rausspringt. Anscheinend hat die ganze Sache viel mit Leistungsdruck zu tun. Mütter und Väter, die wollen, dass ihre Kinder schon kleine Stars beim Baseball sind.«
Gorman verschwand, aber seine Worte hingen Vanessa nach. Eltern, die sich durch ihre Kinder verwirklichen wollen. Dieses Problem hatte ich mit meinen Eltern nicht, dachte sie bitter. Charlotte Kohler hatte keine Chance gehabt, ihre Tochter aufwachsen zu sehen. Sie war gestorben, ermordet, als Vanessa dreizehn gewesen war. Allerdings war Vanessa die einzige gewesen, die ihren Vater öffentlich des Mordes bezichtigt hatte.
Und ihr Vater brauchte sie nicht, um sich zu verwirklichen. Er hatte seine eigenen Pläne und nie viel Interesse an ihr gezeigt -außer, als er ihr Leben zerstört hatte. Da allerdings war er sehr auf sie konzentriert gewesen.
Vanessa drehte sich zu ihrem Computer herum und rief die Geschichte über dieses ominöse Baseballspiel im Internet auf. Nachdem sie einige Berichte überflogen hatte, kam sie zu dem Schluss, dass Gorman keineswegs übertrieben hatte. Jemand hatte einem herrischen Vater einen Kugelschreiber in den Hals gerammt, aber der Notarzt hatte ihn durch sein schnelles Eingreifen retten können. Einer der Polizisten hatte ein gebrochenes Schlüsselbein, und der Assistenztrainer lag mit zwei Schusswunden im Krankenhaus
Um zwanzig Uhr fuhr Vanessa ihren Computer herunter und rief Sam an.
»Der Lächelnde Buddhai« schlug Vanessa vor. Das Restaurant lag zwei Blocks von den Büros des Magazins entfernt.
»Einverstanden. In zehn Minuten in der Lobby, okay?«
Vanessa ging zu Fuß ins Erdgeschoß. Ais praktizierende Paranoide kontrollierte sie sorgfältig die Straße, während sie neben der Eingangstür wartete. In einem Torweg gegenüber unterhielten sich zwei Männer. Sie wirkten zwar nicht bedrohlich, aber Vanessa traute niemandem. In ihrer großen Handtasche befand sich neben ihren Schminkutensilien, dem Adressbuch und Taschentüchern eine nicht registrierte Magnum, die mit Hohlmantelgeschossen geladen war. Ihr Vater hatte sie schon von jungen Jahren an im Umgang mit Waffen unterwiesen. Sie hatte einheimisches Wild gejagt und als Teenager bei einer Safari in Afrika sogar Großwild zur Strecke gebracht. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl war zwar nach dem Tod ihrer Mutter abrupt abgebrochen, aber ihre Geschicklichkeit mit Waffen war ihr geblieben.
»Wie fand Gorman denn diese Rattengeschichte?« erkundigte sich Sam, als sie zum Restaurant gingen.
»Er war begeistert. Was für ein Wichser! Aber er hat mich auf eine interessante Geschichte angesetzt. Zur Abwechslung mal eine wahre Geschichte.« Vanessa erzählte ihn beim Gehen von dem »Little-League-Massaker«, wie der Vorfall in der Presse genannt wurde.
»In Oregon ist es zu dieser Jahreszeit ganz hübsch«, meinte Sam. »Versuch doch, ihm eine Reise dorthin aus dem Kreuz zu leiern. Vielleicht kannst du ihn ja bitten, dir einen Fotografen an die Seite zu stellen.«
»Das klingt verlockend«, meinte Vanessa, als sie an einer Boutique vorbeigingen. Sie blieb kurz stehen und tat, als betrachte sie die Auslage. In Wirklichkeit überprüfte sie die gegenüberliegende Straßenseite. Die beiden Männer aus dem Torweg hielten sich einen halben Block hinter ihnen. Der
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