Die Schuld wird nie vergehen
Ami, nachdem sie bestellt hatten. »Ich habe mit Ray Armitage gesprochen. Sein Fall in Colorado hält ihn länger auf. Er kommt erst zwei Tage später als vorgesehen nach Portland zurück. Außerdem hat der Stellvertretende Bezirksstaatsanwalt Morelli einen Deal vorgeschlagen.«
»Wie sieht dieser Deal aus?«
Vanessa hörte aufmerksam zu, als Ami Brendans Angebot wiederholte.
»Also muss Dan ins Gefängnis, wenn er auf den Deal eingeht?« erkundigte sie sich.
»Ich fürchte ja.«
»Und wenn er das Angebot ablehnt? Wird er dann trotzdem eingesperrt?«
»Ja, es sei denn, Armitage kann den Richter überzeugen, eine niedrigere Kaution festzusetzen, die Dan bezahlen kann. Ansonsten kommt er ins Gefängnis - falls er nicht freigesprochen wird, was ich allerdings für unwahrscheinlich halte.«
»Wann erfahren wir die Höhe der Kaution?«
»Armitage hat mir gesagt, dass er sofort eine Anhörung beantragen wird, aber vorher muss er erst einmal die Fakten durcharbeiten, mit Dan sprechen, eine Zeugenliste erstellen und dergleichen. Das kann eine Woche dauern.«
Vanessa dachte nach, während die Kellnerin ihre Bestellungen servierte. Als sie gegangen war, sah Ami Vanessa offen an.
»Sind Sie Morris Wingates Tochter?«
Vanessa zögerte.
»Sind Sie mit Carl auf die Highschool gegangen?«
Diesmal konnte Vanessa ihre Überraschung nicht verbergen. »Er hat Ihnen seinen richtigen Namen genannt?«
Ami nickte. »Ich weiß außerdem, dass Sie beide 1970 Ihren Abschluss gemacht haben. Ich habe im Jahrbuch von St. Martins nachgeschlagen.«
»Was haben Sie noch herausgefunden?«
»Ich habe einen Psychiater konsultiert, der Carl befragt hat. Wir machen uns Sorgen um seine geistige Gesundheit.«
»Verstehe.«
»Vanessa, Carl hat mir viele beunruhigende Dinge erzählt. Wenn ich ihm helfen soll, muss ich wissen, ob sie stimmen.«
»Was hat er Ihnen erzählt?«
»Das kann ich Ihnen nicht verraten, weil das meine anwaltliche Schweigepflicht verletzen würde. Außerdem will ich es nicht sagen, weil ich herausfinden möchte, ob Sie beide dieselbe Geschichte erzählen. Das hilft mir, Carls Geisteszustand einzuschätzen.«
»Was wollen Sie wissen?«
»Wie sah ihre Beziehung auf der Highschool aus?«
Vanessa wurde traurig. »Sie war in unserem letzten Jahr sehr intensiv«, antwortete sie leise. »Sie endete, als er eingezogen wurde.«
»Warum?« Vanessa schaute auf den Tisch. »Carl hatte ein Stipendium für Dartmouth. Es war sein Traum, dorthin zu gehen. Wenn er es versucht hätte, hätte er sich von seiner Einberufung zurückstellen lassen können, damit er aufs College gehen konnte. Mein Vater hat ihn überredet, zur Army zu gehen. Ich hatte das Gefühl, dass er meinen Vater mir vorgezogen hatte.« Vanessa schaute Ami direkt an. »Dafür habe ich Carl gehasst«, gab sie zu.
»Wann haben Sie Carl wieder gesehen?«
»1985, in Washington. Es war purer Zufall. Wir haben uns in einem Restaurant getroffen. Er hat mich erkannt und mich angesprochen. Eine Woche später haben wir zusammen gegessen.«
»Also waren Sie wieder mit Carl zusammen?«
»So würde ich das nicht ausdrücken. Wir haben uns ab und zu zum Essen getroffen. Manchmal hat er auch auf mich gewartet, wenn meine Seminare zu Ende waren, und wir haben Kaffee getrunken. Es war rein freundschaftlich.«
»Wie lange ging das so?«
»Ein paar Monate.«
»Warum haben Sie es beendet?«
»Carl verschwand für ein paar Wochen.« Vanessa schob sich eine Gabel Salat in den Mund. Sie wollte offenkundig Zeit gewinnen, während sie überlegte, was sie sagte.
»Haben Sie sich Sorgen gemacht, als Carl nicht mehr auftauchte?«
»Zunächst nicht. Wir waren ja nicht zusammen, er war nur ein alter Freund. Wir hatten als Teenager eine Liebesbeziehung gehabt, aber das war schon lange her. Zwischendurch hatte ich geheiratet, mich scheiden lassen. Ich habe Carl zwar manchmal vermisst, weil er ein netter Kerl war. Allerdings vermutete ich, dass er sich mehr von unserer Beziehung erhofft hatte. Ich dachte, er hätte meine Zurückhaltung gespürt und wollte die Beziehung selbst beenden, um nicht abgewiesen zu werden.«
»Also empfanden Sie keine romantischen Gefühle für Carl, als Sie sich in Washington wiedersahen?«
»Wenn er mich gefragt hätte, ob ich mit ihm schlafen würde, hätte ich das abgelehnt.« Vanessa seufzte. »Ehrlich, damals gefiel es mir, mit Carl zusammen zu sein, aber, na ja, er war Sergeant in der Army. Wenn er den Dienst quittierte, hätte er als Lehrer in einer
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