Die Schuld wird nie vergehen
drehte sich einmal langsam um ihre Achse. Sie versuchte sich vorzustellen, wie es hier nachts aussah. Der Sheriff wartete geduldig und folgte Ami, als sie zur Rückseite des Hauses ging. Das Haus hatte den Wind vom See abgehalten, der nun kühl und angenehm über ihre Haut strich.
»Diesen Landungssteg gab es auch damals schon.« Harney deutete auf einen kurzen, hölzernen Pier. »Glass hatte ein Rennboot, mit dem er herumgespielt hat. Auf diesem Pfad zum Tennisplatz habe ich Miss Wingate das erste Mal gesehen.«
Ami betrachtete einen Moment den Landungssteg, bevor sie sich auf den Pfad konzentrierte, der zu dem Tennisplatz führte. Sie stellte sich vor, wie Vanessa Wingate hier mitten in der Nacht in ihrem weißen T-Shirt herumgeirrt war.
»Der Pfad führt an dem Tennisplatz vorbei zu einem schmalen, steinigen Strand. Wir nehmen an, dass Rice das Boot dort an Land gezogen hat.«
»Es ist alles so friedlich und so wunderschön hier«, sagte Ami. »Schwer vorzustellen, dass hier ein Mord geschehen ist.«
»Es ist unser erster und bisher auch letzter, Gott sei Dank.« Ami schlenderte wieder zum Rasen zurück. Die Vorhänge waren zugezogen, aber zwischen ihnen und dem Fensterbrett war ein Spalt offen. Sie spähte in die Küche.
»Das ist neu«, erklärte Harney. »Die Reynolds haben den supermodernen Herd und neuen Backofen eingebaut. Diese Marmortresen waren damals auch noch nicht da.«
Ami fragte sich, wie sehr man etwas umbauen musste, bevor die Geister einen ruhen ließen. Sie wandte sich von dem Haus ab.
»Danke, dass Sie es mir gezeigt haben.«
»Hat es Sie weitergebracht?« fragte der Sheriff
»Nein. Aber vielleicht finde ich ja etwas in den Akten.«
23. KAPITEL
Die Akten über den Mordfall Glass lagen für Ami bereit, als sie mit Sheriff Harney vom See zurückkehrten. Sie ging alles sorgfältig durch und studierte auch die Fotos vom Tatort. Ami hatte noch nie ein Mordopfer gesehen. Der Anblick des toten Glass war so widerlich, dass ihr fast schlecht wurde.
Ami konnte jedoch nur eine einzige neue Information aus den Akten ziehen, nämlich dass keinerlei Armyunterlagen bei der Durchsuchung des Hauses gefunden worden waren. Entweder log Vanessa und hatte Glass diese Akten nie übergeben, oder Rice hatte sie auf seiner Flucht mitgehen lassen. Für Vanessa und Rice sprach, dass sie beide dieselbe Geschichte über diese Unterlagen erzählt hatten. Ami war überzeugt, dass sie seit Carls Verhaftung keine Gelegenheit mehr gehabt hatten, sich abzusprechen oder überhaupt miteinander zu reden. Dass Vanessa Personalakten von Soldaten gefunden hatte, einschließlich der von Carl, bewies natürlich nicht, dass diese geheime Einheit tatsächlich existiert hatte.
Ami hatte die letzte Akte durchgesehen, als ihr Handy klingelte. Mary O'Dell war am Apparat, die Freundin, die auf Ryan aufpasste.
»Ein Glück, dass ich dich erwische!« stieß Mary hervor.
»Du musst sofort nach Hause kommen!«
»Was ist passiert?« Ami fürchtete, dass Ryan etwas passiert sein könnte.
»Die Polizei war hier. Sie suchen dich.«
»Mich? Weshalb denn?«
»Der Mann, der bei dir gewohnt hat, ist geflüchtet. Es ist in allen Nachrichten.« Ami fuhr so schnell sie konnte zum Flughafen von San Francisco und nahm die erste Maschine nach Portland. Detective Walsh hatte seine Nummer bei Mary hinterlassen. Ami hatte ihn angerufen, während sie auf das Einchecken wartete. Walsh bestätigte, dass ihr Mandant aus der geschlossenen Abteilung geflohen war, wollte Ami aber am Telefon keine weiteren Informationen geben.
Walsh hatte einen Polizisten zum Flughafen geschickt, der bereits am Gate wartete, als Amis Maschine in Portland landete. Fernsehteams und ein größeres Aufgebot an Polizeiwagen verstärkten das für jedes Krankenhaus übliche Chaos. Amis Eskorte führte sie durch die Medienmeute in der Lobby und in den Aufzug. Als der Lift anhielt, trat Ami hinaus und landete in einer Gruppe von Beamten der Spurensicherung, uniformierten Polizisten und einigen Männern in Anzügen. Brendan Kirkpatrick sprach mit einem Beamten an der Tür der geschlossenen Abteilung und unterbrach sich mitten im Satz, als er Ami sah.
»Mrs. Vergano, schön Sie zu sehen«, begrüßte er sie kühl.
»Was ist passiert?«
»Ihr Schützling ist mit der Hilfe einer Frau entkommen. Sie hatten Glück, dass Sie in Kalifornien waren, sonst hätte ich Sie sofort verhaften lassen.«
Ami sah ihn furchtsam an. Ihr stockte fast der Atem.
»Ich weiß davon nichts. Und ich
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