Die Schuld wird nie vergehen
Daraufhin hatte er den Psychiater in die Stadt gebracht. Der Safe und die Aktenschränke in Frenchs Büro waren aufgebrochen worden, und die Akten lagen verstreut auf dem Boden.
Als sie vor dem Bürogebäude hielten, wurde Ami zu Frenchs Praxis gebracht. Als sie vom Empfangsbereich in das Behandlungszimmer des Arztes gingen, stieg Kirkpatrick der widerliche Gestank frischer Leichen in die Nase, der jedem Mordschauplatz anhaftete. Er sah Ami an. Sie war blass und schwankte leicht.
»Sind Sie sicher, dass Sie das sehen wollen?« fragte er.
Ami antwortete nur mit einem Nicken, weil sie den Atem anhielt, um den Gestank nicht wahrzunehmen. Sie hoffte, dass sie sich nicht übergeben musste
Als sie an der Tür des Büros ankamen, presste Ami ihre Augen fest zusammen und öffnete sie dann langsam wieder, um die Leiche anzusehen. Das Büro glich einem Schlachthaus. Der Couchtisch und der Teppich waren mit Blutspritzern übersät. Ihr Magen brannte, Galle stieg ihr in die Speiseröhre.
Ami konzentrierte sich auf zwei nackte Füße, die mit Klebeband an den Fuß eines Drehstuhls in der Mitte des Raumes gefesselt waren. Sie waren ebenfalls blutüberströmt und wiesen Spuren von Schlägen auf. Ami erinnerte sich an das, was Carl Rice über die Neigung der Nordvietnamesen erzählt hatte, seine Füße zu misshandeln. Langsam glitt ihr Blick höher. French trug eine blutverschmierte Pyjamahose. Ami rang nach Luft, riss sich aber zusammen. Sie hob den Kopf und betrachtete dann das, was von Doktor George French übrig geblieben war. Man hatte ihn mit Klebeband an den Stuhl gefesselt. Seine Brust war entblößt, und sein ganzer Oberkörper war von tiefen Schnitten übersät. Sie blickte auf ein Spiegelbild des Tatortes im Haus des Kongressabgeordneten Eric Glass.
Ami taumelte aus dem Zimmer. Kirkpatrick musste sie fast ins Wartezimmer tragen. Dort setzte er sie auf eine Couch und reichte ihr eine Wasserflasche, die er vorrausschauend mitgenommen hatte. Walsh und Kirkpatrick warteten ungeduldig, bis Ami sich wieder erholt hatte.
»Können Sie uns den Namen der Frau und Morellis richtigen Namen verraten?«
Ami sah aus, als wäre sie am Rande eines Nervenzusammenbruchs. »Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich müsste dafür meine Schweigepflicht verletzten.« Ihre Stimme zitterte, als sie ein Schluchzen unterdrückte.
»Können Sie uns wenigstens sagen, ob etwas von dem, was Sie in dem Büro gesehen haben, Sie glauben lässt, dass Morelli der Täter war?« drängte Walsh. »Das wäre ja Ihre eigene Meinung, nichts, was Ihr Mandant Ihnen anvertraut hat.« »Er war es«, erwiderte Ami. »Ich kann Ihnen nicht sagen, woher ich das weiß, aber ich weiß es.«
»Brendan, schaffen Sie Mrs. Vergano gleich morgen früh zu einem Richter. Ich stelle sie in der Zwischenzeit unter Polizeischutz.«
»Warum?« fragte Ami ungläubig.
»Morelli ist nicht geflohen«, erklärte Walsh. »Er ist hier in Portland geblieben, obwohl jeder Polizist in der Stadt nach ihm sucht. Ich glaube, er versucht alle Aufzeichnungen von dem zu zerstören, was er Ihnen und French erzählt hat. Wären Sie nicht unterwegs gewesen, wären Sie vermutlich ebenfalls tot.«
Ami war bereits verängstigt, doch seine Worte entsetzten sie.
»Er würde mich doch jetzt nicht mehr umbringen! Er kann sich bestimmt denken, dass ich mit Ihnen gesprochen habe!«
»Er weiß aber nicht genau, ob Sie uns alles erzählt haben, was Sie wissen. Vielleicht geht er davon aus, dass Sie sich an Ihre Schweigepflicht gehalten haben. Wenn er vorhat, Sie umzubringen, bevor Sie reden, muss er das heute Nacht versuchen. Ich habe bereits einen Wagen zu Mary O'Dells Haus geschickt, damit Ihr Sohn beschützt wird.«
»O Gott!« stöhnte Ami und sank zusammen. »Was soll ich bloß tun?«
»Gehen Sie nach Hause und versuchen Sie, sich auszuruhen«, riet Kirkpatrick. »Sonst klappen Sie mir noch zusammen.«
»Nein, ich möchte Ryan sehen.«
»Das ist keine gute Idee«, widersprach Walsh. »Wenn Morelli es auf Sie abgesehen hat, sollten Sie lieber nicht in der Nähe Ihres Sohnes sein.«
24. KAPITEL
Emily Hobson war seit fünfzehn Jahren Victor Hobsons Ehefrau. Folglich wartete sie mit dem Abendessen auf ihn, als er kurz nach acht nach Hause kam. Zwei Jahre, bevor er Emily kennenlernte, war er mit einer Kassiererin verlobt gewesen, die er während der Ermittlungen bei einem Banküberfall getroffen hatte. Die Frau hatte ihre Verlobung aufgelöst, weil sie weder seine unregelmäßigen Arbeitszeiten
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