Die Schuld
viel Flüssigkeit, kein Bier mehr. Und kein Druck auf die Organe da unten; wenn er musste, ging er sofort. Was war schon dabei, wenn er ein paar Schläge verpasste? Er machte sich auf den Weg zu der kleinen Gästetoilette im Gang neben dem Schlafzimmer, in dem seine Frau in ihrem Schaukelstuhl saß und an der Stickerei arbeitete, die zu ihrem Lebenszweck geworden zu sein schien. Er schloss die Tür hinter sich, öffnete den Reißverschluss seiner Hose und fing an zu urinieren. Ein leichtes Brennen ließ ihn nach unten blicken. Fast wäre er in Ohnmacht gefallen.
Sein Urin war rostfarben - eine dunkelrote Flüssigkeit. Er rang nach Luft und stützte sich mit einer Hand gegen die Wand. Als er fertig war, betätigte er nicht die Spülung, sondern setzte sich ein paar Minuten lang auf den Toilettensitz, um sich zu sammeln.
»Was treibst du denn da drin?«, rief seine Frau.
»Geht dich nichts an«, brüllte er zurück.
»Ist alles in Ordnung, Ted?«
»Mir geht's bestens.«
Aber das stimmte nicht. Er hob den Deckel, um sich die tödliche Visitenkarte, die sein Körper soeben hinterlassen hatte, noch einmal anzusehen. Schließlich spülte er sie hinunter und ging zurück ins Fernsehzimmer. Die Devil Rays führten mittlerweile noch hö her, aber das Spiel hatte für ihn jegliche Bedeutung verloren. Zwanzig Minuten und drei Gläser Wasser später schlich er in den Keller und urinierte dort in einem kleinen Bad, so weit von seiner Frau entfernt wie möglich.
Es war Blut, entschied er. Die Tumo re waren wieder da, und es war wesentlich schlimmer als zuvor.
Am nächsten Morgen beim Frühstück erzählte er seiner Frau die Wahrheit. Eigentlich hätte er sie lieber so lange wie möglich im Unklaren gelassen, aber sie lebten zu eng zusammen, sodass es schwierig war, ein Geheimnis zu wahren. Das galt besonders für gesundheitliche Probleme. Sie nahm die Sache umgehend in die Hand, rief seinen Urologen an und putzte die Arzthelferin an der Rezeption herunter, bis sie ihm einen Termin direkt nach der Mittagspause gab. Es handele sich um einen Notfall, und morgen wäre es schlicht und einfach zu spät.
Vier Tage später wurden in Mr Worleys Nieren bösartige Tumore entdeckt. In einer fünfstündigen Operation entfernten die Ärzte alle Geschwülste, die sie finden konnten.
Der Leiter der Urologie beobachtete seinen Patienten genau. Einen Monat zuvor hatte ein Kollege an einem Krankenhaus in Kansas City ebenfalls mit einem Fall zu tun gehabt, bei dem nach der Behandlung mit Dyloft Nierentumore aufgetreten waren. Der Patient in Kansas City erhielt gegenwärtig eine Chemotherapie, doch sein Zustand verschlechterte sich rapide.
Für Mr Worley stand Ähnliches zu befürchten, aber der Onkologe drückte sich bei seiner ersten Visite nach der Operation sehr vorsichtig aus. Mrs Worley arbeitete an ihrer Stickerei und beschwerte sich über das Krankenhausessen. Man erwarte ja keine Delikatessen, aber bei diesen Preisen könne das Essen doch wohl zumindest warm sein. Mr Worley verkroch sich unter seiner Decke und sah fern. Höflich schaltete er den Ton aus, als der Onkologe kam, aber er war zu traurig und deprimiert, um sich an dem Gespräch zu beteiligen.
In etwa einer Woche würde er entlassen werden, und sobald er sich genügend erholt hatte, würde man mit der aggressiven Behandlung der Krebserkrankung beginnen. Als die Besprechung vorbei war, weinte Mr Worley.
Bei einem Gespräch mit dem Kollegen in Kansas City erfuhr der Leiter der Urologie von einem weiteren Fall. Alle drei Patienten waren Dyloft-Kläger der Kategorie eins gewesen. Jetzt lagen sie im Sterben. Der Name einer Anwältin fiel: Der Patient aus Kansas City wurde von einer kleinen Kanzlei in New York vertreten.
Für einen Arzt war es ein seltenes, erfreuliches Erlebnis, den Namen eines Anwalts weitergeben zu können, der einen anderen Anwalt verklagen würde, und der Leiter der Urologie war entschlossen, diesen Augenblick zu genießen. Er ging zu Mr Worley ins Zimmer, stellte sich vor, weil sie sich noch nicht begegnet waren, und erklärte seine Rolle bei der Behandlung. Mr Worley hatte die Nase voll von Ärzten, und ohne die Schläuche, die kreuz und quer durch seinen geschundenen Körper liefen, hätte er sich selbst entlassen. Bald kam das Gespräch auf Dyloft und den Vergleich. Als sie von den Gewinnen sprachen, die die Juristen einstrichen, erwachte der alte Mann zu neuem Leben. Sein Gesicht bekam etwas Farbe, seine Augen funkelten.
Der magere Vergleich war
Weitere Kostenlose Bücher