Die Schuld
Kläger. Mit der Einstufung als Sammelklage war zu rechnen, weil man davon ausging, dass sich noch wesentlich mehr finden würden. »Wie viel mehr?«, fragte sich Clay, während er eine weitere Kanne Kaffee kochte. »Wie viele Worleys gibt es?«
Mr Carter, zweiunddreißig, stand für Kommentare nicht zur Verfügung. Patton French nannte das Verfahren »leichtfertig erhoben«, ein Ausdruck, den er dem Artikel zufolge von nicht weniger als acht Unternehmen übernommen hatte, die er in den letzten vier Jahren selbst verklagt hatte. Damit nicht genug, erklärte er, das Verfahren »… riecht nach einer Verschwörung der Befürworter einer Reform des Schadenersatzrechts und ihrer Wohltäter, der Versicherungsbranche«. Vielleicht hatte der Reporter Patton nach ein paar kräftigen Wodkas erwischt.
Clay musste eine Entscheidung treffen. Da er tatsächlich krank war, konnte er zu Hause bleiben und den Sturm aussitzen. Oder er konnte sich in die harte Welt hinauswagen und sich der Sache stellen. Am liebsten hätte er ein paar Tabletten genommen, sich ins Bett gelegt und eine Woche geschlafen, bis der Alptraum vorüber war. Noch besser gefiel ihm der Gedanke, ins Flugzeug zu springen und Ridley zu besuchen.
Um sieben Uhr erschien er mit entschlossener Miene und einem Koffeinrausch im Büro, wanderte durch die Gänge und alberte mit der Frühschicht herum. Mutig, wenn auch etwas lahm, witzelte er über Zustellungsbeamte, die bereits unterwegs seien, Reporter, die überall herumschnüffelten, und Vorladungen, die in der Gegend umherflogen. Es war eine glänzende, tapfere Vorstellung, die seine Kanzlei brauchte und zu schätzen wusste.
Er hielt bis weit in den Vormittag hinein durch. Dann versetzte ihm Miss Glick, die durch die offene Tür in sein Büro kam, den Gnadenstoss. »Mr Carter, die beiden FBI-Beamten sind wieder da«, sagte sie.
»Wunderbar!«, rief er und rieb sich die Hände, als wollte er sie verprügeln.
Spooner und Lohse lächelten angespannt und schüttelten ihm nicht die Hand. Zähneknirschend schloss Clay die Tür. Nur keine Schwäche zeigen, rief er sich selbst zur Ordnung. Aber er war völlig erschöpft und hatte Angst.
Diesmal redete Lohse, während sich Spooner Notizen machte. Offenbar hatte Clays Bild auf der Titelseite sie daran erinnert, dass sie ihm noch einen zweiten Besuch schuldeten. Das war das Problem, wenn man prominent war.
»Haben Sie von Ihrem Freund Max Pace gehört?«, begann Lohse.
»Nein, nicht einen Pieps.« Das war die reine Wahrheit, dabei hätte er Pace' Rat in diesen Zeiten der Krise dringend gebraucht.
»Ganz sicher?«
»Sind Sie taub?«, schoss Clay zurück. Wenn ihn die Fragen in Bedrängnis brachten, würde er sie auffordern zu gehen. Schließlich waren die beiden nur Ermittler und nicht Ankläger. »Ich habe Nein gesagt.«
»Wir glauben, er war letzte Woche in der Stadt.«
»Schön für Sie, ich habe ihn nicht gesehen.«
»Sie haben am zweiten Juli letzten Jahres Klage gegen Ackerman Labs eingereicht. Ist das richtig?«
»Ja.«
»Besaßen Sie vor Einreichung der Klage Aktien des Unternehmens?«
»Nein.«
»Haben Sie einen Leerverkauf getätigt und die Aktien dann zu einem niedrigeren Preis zurückgekauft?«
Natürlich hatte er das, auf Vorschlag seines guten Freundes Pace. Sie kannten die Antwort auf diese Frage. Mit Sicherheit waren ihnen die Daten der Transaktionen bekannt. Seit ihrem ersten Besuch hatte er sich eingehend mit Wertpapierbetrug und Insiderhandel beschäftigt. Es war eine Grauzone, in seinem Fall eher hellgrau - glaubte er zumindest. Vielleicht war sein Verhalten nicht einwandfrei gewesen war, aber bestimmt nicht illegal. Rückblickend hätte er nicht mit den Aktien handeln sollen. Tausendmal hatte er sich gewünscht, er hätte es nicht getan.
»Wird aus irgendeinem Grund gegen mich ermittelt?«, fragte er.
Spooner nickte schon, bevor Lohse »Ja« sagen konnte.
»Dann ist diese Besprechung beendet. Mein Anwalt wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen.« Clay hatte sich bereits erhoben und ging zur Tür.
34
F ür das nächste Treffen des Dyloft-Ausschusses wählte der Beklagte Patton French ein Hotel im Zentrum von Atlanta, wo er eines seiner zahlreichen Seminare zum Thema »Durch Pharmaunternehmen reich werden« hielt. Es war eine Notfallbesprechung.
Wie zu erwarten, hatte French die Präsidentensuite gebucht, ein buntes Sammelsurium überflüssiger Räume im obersten Stockwerk des Hotels. Dort trafen sie sich. Anders als sonst sprach niemand
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