Die Schuld
sind.«
»In welchem Werk?« Clay stellte sich unwissend.
»Bei Hanna Cement, dem größten Arbeitgeber der Stadt. Zwölfhundert sind letzte Woche auf die Straße gesetzt worden. Hier in der Gegend halten wir zusammen. Solche Sammlungen gibt es überall in der Stadt - in Geschäften, Cafes, Kirchen, sogar in den Schulen. Bis jetzt haben wir über sechstausend zusammen. Wenn es hart auf hart geht, soll das Geld verwendet werden, um Stromrechnungen und Lebensmittel zu bezahlen. Ansonsten geht es ans Krankenhaus.«
»Läuft das Geschäft nicht?«, fragte Clay kauend. Das Sandwich in den Mund zu stopfen war einfach, aber das Schlucken fiel ihm zunehmend schwerer.
»Nein, die Firma hat immer gute Chefs gehabt. Die Hannas wissen, was sie tun, aber sie hatten eine Klage irgendwo in Baltimore am Hals. Die Anwälte haben das große Geld gerochen und so viel verlangt, dass die Hannas Konkurs anmelden mussten.«
»Eine verdammte Schande ist das«, mischte sich einer der beiden Rentner ein. An Kneipengesprächen konnte sich jeder beteiligen. »War überhaupt nicht nötig. Die Hannas wollten einen Vergleich und haben ein faires Angebot gemacht, aber die Scheißkerle aus Washington wollten nicht mit sich reden lassen. Da haben die Hannas gesagt: Leckt uns, und sind gegangen.«
Kurz und knapp, dachte Clay, aber keine schlechte Zusammenfassung der Ereignisse.
»Ich hab vierzig Jahre da gearbeitet und immer meinen Gehaltsscheck bekommen. Eine verdammte Schande.«
Um seinen Beitrag zum Gespräch zu leisten, sagte Clay: »Kündigungen sind bei denen wohl nicht sehr häufig?«
»Die Hannas halten nichts davon, Leute auf die Straße zu setzen.«
»Werden die Leute wieder eingestellt?«
»Sie wollen es versuchen, aber jetzt hat das Konkursgericht das Sagen.«
Clay nickte und wandte sich eilig seinem Sandwich zu. Die beiden jüngeren Männer waren aufgestanden und gingen zur Kasse. Ethel verscheuchte sie mit einer Handbewegung. »Ihr schuldet mir nichts, Jungs. Das geht aufs Haus.«
Sie bedankten sich höflich und warfen beim Hinausgehen ein paar Münzen in die Flasche für den Hanna-Fonds. Clay verabschiedete sich ein paar Minuten später, dankte Ethel und beteiligte sich mit einem Hundert-Dollar-Schein am Hanna-Fonds.
Nach Einbruch der Dunkelheit saß er allein auf der Besuchertribüne des winzigen Stadions und sah sich das Spiel der Reedsburg Cougars gegen die Enid Elks an. Die Tribüne für die Clubmitglieder war so gut wie voll. Die Kapelle war laut, und die Menge verlangte brüllend nach einem Sieg. Clay konnte sich nicht auf das Spiel konzentrieren. Als er sich die Aufstellung ansah, überlegte er, wie viele Spieler wohl aus Familien stammten, die von den Kündigungen betroffen waren. Dann blickte er auf die langen Reihen von Reedsburg-Fans auf der anderen Seite des Spielfeldes und fragte sich, wer von ihnen noch Arbeit hatte und wer nicht.
Zwischen Nationalhymne und Spielbeginn hatte ein örtlicher Pfarrer für die Sicherheit der Spieler und die wirtschaftliche Erholung in der Gemeinde gebetet. Sein Gebet endete mit den Worten »Hilf uns durch diese harten Zeiten, o Gott. Amen.«
Clay Carter glaubte nicht, dass er sich jemals schlechter gefühlt hatte als in diesem Moment.
38
A m frühen Samstagabend rief eine sehr aufgewühlte Ridley an. Vier Tage lang habe sie Clay nicht erreichen können! Entweder wisse in der Kanzlei niemand, wo er sei, oder sie wollten es ihr nicht sagen. Und er habe noch nicht einmal versucht, sich bei ihr zu melden. Dabei besäßen sie beide mehrere Telefone. Führe man so eine Beziehung? Nachdem er sich ihr Gejammer einige Minuten angehört hatte, fiel Clay ein Summen in der Leitung auf. »Wo bist du?«
»Auf St. Barth. In unserer Villa.«
»Wie bist du da hingekommen?« Schließlich hatte Clay die Gulfstream benutzt.
»Ich habe einen kleineren Jet gechartert. So klein, dass wir in San Juan zum Tanken zwischenlanden mussten, weil die Maschine es nicht nonstop geschafft hätte.«
Die Ärmste. Woher kannte sie überhaupt die Nummer des Charterunternehmens? »Was willst du denn da unten?«, fragte er ein wenig dümmlich.
»Ich war so verzweifelt, weil ich dich nicht erreicht habe. So was darfst du mir nie wieder antun, Clay.«
Er versuchte kurz, eine Verbindung zwischen seinem Verschwinden und ihrer Flucht nach St. Barth zu entdecken, fand aber keine.
»Tut mir Leid«, sagte er. »Patton French hat mich in Biloxi gebraucht, und ich war zu beschäftigt, um anzurufen.« Es folgte eine
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