Die Schuld
lange Pause. Sie überlegte, ob sie ihm sofort verzeihen oder ein, zwei Tage damit warten sollte. »Versprich mir, dass es nicht wieder vorkommt«, verlangte sie schmollend. Clay hatte weder Lust auf ihr Gejammer noch auf große Versprechungen, aber er war erleichtert, sie außer Landes zu wissen. »Es passiert nicht wieder. Erhol dich und genieß es.«
»Kannst du runterkommen?«, fragte sie, aber mehr um die Form zu wahren. Echtes Gefühl steckte nicht dahinter. »Nicht jetzt. Das Verfahren in Flagstaff ist eröffnet.« Er bezweifelte sehr, dass sie auch nur die geringste Ahnung hatte, wovon er sprach.
»Rufst du mich morgen an?«, fragte sie.
»Natürlich.«
Jonah war wieder in der Stadt und wollte von den zahlreichen Abenteuern berichten, die er als Segler erlebt hatte. Sie waren für einundzwanzig Uhr in einem Bistro in der Wisconsin Avenue für ein ausgedehntes spätes Abendessen verabredet.
Gegen halb neun klingelte das Telefon, aber der Anrufer hängte wortlos auf. Als es ein zweites Mal läutete, griff Clay danach, während er gerade sein Hemd zuknöpfte.
»Spreche ich mit Clay Carter?«, fragte eine Männerstimme. »Ja, und wer sind Sie?« Angesichts der Unmengen unzufriedener Mandanten - Dyloft, Skinny Ben und nun vor allem die aufgebrachten Hausbesitzer aus Howard County - hatte Clay in den vergangenen beiden Monaten zweimal seine Nummer gewechselt. Beschimpfungen in der Kanzlei konnte er verkraften, aber zumindest wollte er zu Hause in Frieden gelassen werden.
»Ich bin aus Reedsburg, Pennsylvania, und habe wertvolle Informationen über die Hanna Company für Sie.«
Clay lief es eiskalt den Rücken hinunter. Er setzte sich auf die Bettkante. Ich darf ihn nicht auflegen lassen, sagte er sich, während er versuchte, Ordnung in seine wirren Gedanken zu bringen. »Ich höre.« Irgendwie hatte jemand aus Reedsburg seine neue Geheimnummer herausgefunden.
»Nicht am Telefon«, erwiderte die Stimme. Um die dreißig, weiß, mittlerer Schulabschluss.
»Warum nicht?«
»Es ist eine lange Geschichte. Ich habe ein paar Unterlagen.«
»Wo sind Sie?«
»In der Stadt. Wir treffen uns in der Lobby des Four Seasons in der M-Street. Da können wir reden.«
Kein schlechter Plan. Die Lobby würde ausreichend belebt sein, nur für den Fall, dass jemand Anwälte abknallen wollte.
»Wann?«, fragte Clay.
»So schnell wie möglich. Ich bin in fünf Minuten da. Wie lange brauchen Sie?«
Auch wenn seine Adresse kein Geheimnis war, hatte Clay nicht vor zu erwähnen, dass er nur sechs Häuserblocks vom Hotel entfernt wohnte. »Zehn Minuten.«
»Gut. Ich trage Jeans und eine schwarze Steelers-Kappe.«
»Ich werde Sie finden.« Damit legte Clay auf. Er zog sich fertig an und verließ eilig das Haus. Während er mit schnellen Schritten durch die Dumbarton Street ging, versuchte er sich vorzustellen, welche Informationen er über die Hannas brauchen könnte und ob er sie überhaupt wollte. Gerade erst hatte er achtzehn Stunden in Reedsburg verbracht und versuchte nun relativ erfolglos, diesen Ort zu vergessen. Versunken in seine Welt der Verschwörungen, Bestechungsgelder und Spionageszenarios murmelte er noch vor sich hin, als er an der Thirty-First Street nach Süden abbog. Eine Frau mit einem kleinen Hund kam ihm entgegen, der sich auf dem Gehweg nach einer geeigneten Stelle umsah, um sich zu erleichtern. Dann näherte sich ein junger Mann in einer schwarzen Motorradjacke, der eine Zigarette im Mundwinkel hängen hatte. Clay nahm ihn kaum wahr. Als sie einander vor einem nur schwach erleuchteten Haus unter den Ästen eines alten Rotahorns passierten, rammte der Mann Clay die rechte Faust gegen das Kinn. Das Timing war perfekt.
Clay hatte den Schlag nicht kommen gesehen. Er erinnerte sich an ein lautes Krachen in seinem Gesicht, dann schlug sein Kopf gegen einen schmiedeeisernen Zaun. Plötzlich tauchte ein Knüppel auf, und aus dem Nichts erschien ein zweiter Mann, der ebenfalls auf ihn eindrosch. Clay rollte sich auf die Seite und kam auf ein Knie hoch. Da landete der Knüppel mit der Wucht einer Gewehrkugel auf seinem Hinterkopf.
Bevor er ohnmächtig wurde, hörte er in der Ferne eine weibliche Stimme.
Die Frau, die ihren Hund spazieren führte, hatte hinter sich Lärm gehört: eine Prügelei, zwei gegen einen, wobei der Mann am Boden keine Chance hatte. Als sie näher heraneilte, sah sie zu ihrem Entsetzen zwei Männer in schwarzen Jacken, die mit großen schwarzen Knüppeln auf ihr Opfer einschlugen. Als sie
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