Die Schuld
einer.
»Da bin ich leider gebucht.«
Die vier Touristen zogen nur widerwillig ab, als fühlten sie sich um ihre Marlin-Trophäen betrogen.
Damit war das Thema Arbeit für diesen Tag vom Tisch, und Jarrett ging sofort zum Kühlbehälter hinüber, um sich eine Dose Bier zu holen. »Auch eins?«, fragte er Clay.
»Wie spät ist es?«
»Zeit für ein Bier, wenn du mich fragst.«
»Ich habe noch nicht mal meinen Kaffee ausgetrunken.«
Sie setzten sich auf die an Deck stehenden Stühle und lauschten dem lauter werdenden Donner. In dem Hafen waren Kapitäne und Matrosen damit beschäftigt, ihre Boote sturmfest zu machen. Unzufriedene Angler schleppten Kühlbehälter und Taschen mit Sonnenöl und Kameras von Bord. Allmählich nahm die Windgeschwindigkeit zu.
»Hast du mit deiner Mutter gesprochen?«, fragte Jarrett. »Nein.«
Die Familiengeschichte der Carters war ein wahrer Alptraum, und die beiden vermieden es, das Thema zu vertiefen. »Immer noch beim OPD?«, fragte Jarrett.
»Ja, und gerade darüber möchte ich mit dir reden.«
»Wie geht's Rebecca?«
»Gehört wahrscheinlich der Vergangenheit an.«
»Ist das eine gute oder eine schlechte Nachricht?«
»Im Augenblick ist es nur schmerzhaft.«
»Wie alt bist du jetzt?«
»Vierundzwanzig Jahre jünger als du. Einunddreißig.«
»Stimmt. Zu jung, um schon zu heiraten.«
»Danke für den Rat.«
Floyd kam über den Pier geeilt und blieb vor ihrem Boot stehen. »Günter ist hier. Die Pokerpartie beginnt in zehn Minuten. Beeil dich!«
Jarrett sprang auf. Plötzlich wirkte er wie ein Kind, das die Weihnachtsbescherung nicht abwarten konnte. »Bist du auch dabei?«, fragte er Clay.
»Wobei?«
»Beim Pokern.«
»Pokern ist nichts für mich. Wer ist Günter?«
Jarrett zeigte in die Ferne. »Siehst du die Riesenjacht da hinten? Gehört Günter, einem alten Sack aus Deutschland. Ist 'ne Milliarde schwer und hat immer reichlich Frauen an Bord. Glaub mir, da sitzen wir den Sturm besser aus als hier.«
»Komm endlich!«, brüllte Floyd, der sich bereits auf den Weg machte.
Jarrett sprang auf den Pier. »Also, kommst du jetzt mit?«, fragte er ungeduldig.
»Ich passe.«
»Sei kein Narr. Du solltest lieber mitkommen, statt den ganzen Tag hier herumzusitzen. Da drüben wirst du sehr viel mehr Spaß haben.« Jarrett eilte Floyd hinterher.
Clay winkte ihm nach. »Ich werde ein Buch lesen.«
»Wie du willst.«
Die beiden sprangen mit einem anderen Raubein in ein Beiboot mit Außenbordmotor und rasten durch den Hafen. Bald waren sie hinter den Jachten verschwunden.
Clay sollte seinen Vater erst nach mehreren Monaten wiedersehen. Auf gute Ratschläge hatte er vergeblich gehofft.
Er war auf sich allein gestellt.
11
D ie Suite befand sich in einem anderen Hotel. Max Pace bewegte sich durch Washington, als wären ihm Spione auf den Fersen. Eine kurze Begrüßung und die Frage: »Kaffee?«, dann setzten sie sich, um übers Geschäft zu reden. Clay sah Pace an, dass ihn die Geheimniskrämerei belastete. Er wirkte müde, seine Bewegungen waren fahrig. Er redete zunehmend hastiger, und das Lächeln war verschwunden. Keine Fragen darüber, wie es am Wochenende auf den Bahamas gewesen sei. Er war dabei, einen Handel abzuschließen, wenn nicht mit Clay Carter, dann eben mit dem nächsten Anwalt auf seiner Liste. Sie saßen am Tisch, jeder seinen Notizblock vor sich und einen Stift in der Hand.
»Ich finde, fünf Millionen pro Toten klingt besser«, fing Clay an. »Gut, es sind Straßenjungs, deren Leben keinen hohen wirtschaftlichen Wert besitzt. Aber was Ihr Auftraggeber getan hat, ist einen Strafschadenersatz in Millionenhöhe wert. Wenn wir einen Mittelwert zwischen dem normalen und dem erhöhten Satz nehmen, kommen wir auf fünf Millionen.«
»Der Typ, der im Koma lag, ist letzte Nacht gestorben.«
»Dann haben wir jetzt sechs Opfer«, sagte Clay.
»Sieben. Am Samstagmorgen kam noch eins dazu.« Clay hatte die fünf Millionen schon so oft im Kopf mit sechs malgenommen, dass er sich jetzt nur schwer an die neue Zahl gewöhnen konnte. »Wer? Wo?«
»Die Details liefere ich nach, okay? Sagen wir, es war ein sehr langes Wochenende. Während Sie beim Fischen waren, haben wir die Notrufzentrale der Polizei abgehört, und dazu braucht es an einem ereignisreichen Wochenende in dieser Stadt eine kleine Armee.«
»Sind Sie sicher, dass es sich um einen Tarvan-Fall handelt?«
»Sind wir.«
Clay kritzelte sinnlose Zeichen auf seinen Block und versuchte dabei, sich eine
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