Die Schuldlosen (German Edition)
Saskias Puppe gekauft hatte. Sie hat’s gut gemeint, konnte es eben nicht besser. Es hat ihr doch nie einer beigebracht, wie man Gefühle zeigt. Und ich hab sie dafür zur Schnecke gemacht.»
Der Schleier, hinter dem das Gesicht der Polizistin verschwamm, waren Tränen. Gerhilds Stimme verlor jede Festigkeit und verkam zu krampfhaften Schluchzern. «Immer haben alle auf ihr herumgehackt. Damals, als sie ihre Aussage widerrufen wollte, hat Martha ihr die Hölle heißgemacht und sie belogen. Ich hab erst letzte Woche mit Dennis Heckler darüber gesprochen. Der wusste von nichts. Und er meinte, seine Mutter hätte das doch wohl eher ihm erzählt als uns. Das hätte Martha nicht tun dürfen. Ich glaube nicht, dass wir ein paar Brote weniger verkauft hätten. Im Grunde hatte Heike doch recht. Viele Frauen haben aufgeatmet, hätten es nur nie zugegeben. Die hätten uns vielleicht sogar die Bude eingerannt vor lauter Dankbarkeit. Und das hier wäre nicht passiert.»
«Wie meinen Sie das?», fragte die Polizistin, die zwar jedes Wort, aber nicht deren Bedeutung verstanden hatte.
«Das liegt doch auf der Hand», schluchzte Gerhild.
Die Polizistin schaute sie erwartungsvoll an. Als nichts mehr kam, schlug sie vor: «Vielleicht sollten Sie sich hinsetzen.»
«Nein», sagte Gerhild. «Ich kann hier nicht sitzen. Ich muss nach Hause. Darf ich gehen?»
Die Polizistin suchte den Blick ihres Kollegen, der ins Wohnzimmer gegangen war und immer noch mit Lothar Steffens telefonierte. Mit einem Nicken gab Kuhn zu verstehen, dass er einverstanden war, wenn Gerhild sich auf den Heimweg machte. Mit Lothar hatte er einen Mann in der Leitung, der ihm entschieden mehr erzählen konnte als eine unter Schock stehende Schwägerin, die nur wirres Zeug von sich gab.
Die Polizistin nickte ebenfalls und wollte nur noch wissen: «Kommen Sie denn alleine klar?»
«Sicher», sagte Gerhild. «Sind ja nur vier Kilometer.»
Die Polizistin ging mit ihr hinaus in den Hausflur. Nebenan zeterte wieder der Sittich. In der Wohnung neben dem Aufzug weinte ein Baby und übertönte die orientalische Musik.
«Ziemlich hellhörig hier», meinte die Polizistin.
Gerhild nickte nur und drückte auf den Knopf für den Aufzug. Beim Aussteigen im Erdgeschoss stieß sie mit dem Notarzt zusammen, der eilig in die Kabine drängte, dicht gefolgt von zwei Sanitätern, die ein Stoßgebet zum Himmel schickten, dass es wirklich nur ein Unfall war und sie gleich nicht in Unterhosen auf der Wache sitzen mussten.
Wie sie zurück nach Garsdorf kam, wusste Gerhild später nicht mehr. Keine Ampel, keine Kreuzung, kein Meter Landstraße blieb haften. Stattdessen sah sie Heike in der Wanne liegen, die blicklosen Augen, der halboffene Mund, die aufgeräumte Küche, das ungemütlich sterile Wohnzimmer, die zurückgeschlagene Bettdecke, wie der Polizist den Rucksack an einem Tragegurt hochhielt und wie die Sperrkette an der Tür nutzlos herunterbaumelte.
Als sie die Garsdorfer Kirche vor sich sah, wäre sie am liebsten umgekehrt. Sie hätte warten müssen, bis der Notarzt Heike untersucht und die genaue Todesursache festgestellt hatte. Was sollte sie denn sagen, wenn Wolfgang fragte, woran Heike gestorben war? An einer Schramme über dem linken Ohr?
Im Geist sah Gerhild Alex am frühen Nachmittag in die Wohnung schleichen. Er versteckte sich hinter dem Duschvorhang und wartete, bis Heike sich bettfertig machte und zum Duschen in die Wanne stieg. Dann betäubte er sie durch einen Schlag auf den Kopf, drückte den Stöpsel in den Abfluss, ließ die Wanne volllaufen und ertränkte Heike, wie er es mit Janice gemacht hatte. Deshalb hatte man nirgendwo Blut gesehen. Als Heike tot war, zog er den Stöpsel wieder raus, weil jeder wusste, dass Heike an einem Wochentag kein Vollbad nahm.
Gerhild lenkte den Kombi in den Hof vor die Backstube, deren Tür immer offen stand, Sommer wie Winter, egal ob es regnete oder schneite. Nur bei dem Unwetter neulich hatte Wolfgang die Tür ausnahmsweise geschlossen, damit nicht zu viel Zeugs von draußen hereingeweht wurde.
Sie schaltete den Motor aus, zog den Schlüssel ab und warf einen ängstlich verstohlenen Blick zum Küchenfenster hinüber. Sie nahm an, dass alle um den großen Tisch herumsaßen. Die Schwiegereltern und die Kinder mit verweinten Gesichtern, Wolfgang mit versteinerter, Geselle und Lehrling mit betroffenen Mienen. Und alle warteten darauf zu erfahren, was nun genau mit Heike passiert war.
Gerhild stieg erst aus, als ihr Mann
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