Die Schuldlosen (German Edition)
Wollen Sie mir jetzt weismachen, die hätte Ihnen nichts erzählt?»
«Ja», sagte Bernd Leunen. «Aber das will ich Ihnen nicht weismachen, das ist einfach so. Wir sind für die Kölner Kollegen nur ortskundige Begleiter. In den Stand der Ermittlungen werden wir nicht eingeweiht.»
«Sie müssen aber auch nicht im Auto sitzen bleiben, wenn die irgendwo reingehen», stellte Silvie fest. «Bei uns standen Sie mit der Nase vorne dabei und bei Alex auch. Er hat mir geraten, Sie zu fragen. Und ich hab was gut bei Ihnen, Herr Leunen. Ich hab Ihnen auch erzählt, was Sie hören wollten. Da muss eine kleine Revanche drin sein. Kein Mensch wird erfahren, von wem ich das weiß. Ich kann behaupten, Alex hätte es mir erzählt.»
«Hat er nicht?», fragte Bernd Leunen ungläubig. Ihm klang noch dieser Satz im Ohr: «… wäre es mir ein besonderes Vergnügen.»
Silvie schüttelte den Kopf. «Er sagte, er weiß nichts Genaues. Und mit dem, was er sich zusammenreimt, will er mich nicht verrückt machen.»
So viel zum besonderen Vergnügen, dachte Bernd Leunen.
«Bernd», mahnte seine Mutter. «Jetzt sag dem armen Ding schon, was du weißt. Sie weiß es doch längst. Herrgott, wenn ich in ihrer Lage wäre, würde ich es auch ganz genau wissen wollen.»
Ja, das konnte er sich lebhaft vorstellen. Und irgendwie verstand er es ja. Wahrscheinlich war es weniger schlimm, Gewissheit zu haben, als sich in Verdächtigungen und Vermutungen zu verlieren, sich Lügen und Ausflüchte anzuhören. Also nickte er und gab ihr die Gewissheit.
Silvie bedankte und verabschiedete sich. Er begleitete sie zur Haustür. Sie war blass, wirkte aber ruhig und gefasst, als sie ein Stück die Straße runter ins Auto ihres Großvaters stieg. Bernd Leunen war überzeugt, dass sie nur noch einmal ins Margarineviertel fuhr, um ihre Sachen zu packen. Doch da irrte er sich.
Lothar blieb bis um sieben im Büro und war ab Mittag allein auf weiter Flur, was ihm ganz recht war. Zum einen musste er einiges aufarbeiten, was vormittags liegengeblieben war. Zum anderen graute ihm vor der Heimfahrt. Silvie hatte ihm gestern schon eine Höllenszene gemacht, die sich garantiert noch ausbauen und steigern ließ.
Wie hatte er bedauert, Prinz Knatschsack nicht längst bei seiner Mutter abgeholt zu haben. In Gegenwart des Kleinen hätte Silvie nicht so herumgebrüllt und ihn auch nicht mit diesen Ausdrücken belegt. Verlogener Hund, notgeiler Scheißkerl … Sie wollte ihm niemals wieder auch nur ein Wort glauben. Die halbe Nachbarschaft musste mitgehört haben. Was mochten die jetzt von ihm denken?
Wieder und wieder hatte Silvie spekuliert, dass sie an dem Sonntagnachmittag, als sie mit ihrer Bronchitis im Krankenhaus lag, nur deshalb vergebens auf ihn gewartet hatte, weil er in der Zeit bei Heike gewesen war.
«Ein schöner, entspannter Sonntagnachmittagsfick war bestimmt mal nett zur Abwechslung, wo du Armer dich sonst wohl immer hetzen musstest, damit ich nicht misstrauisch werde. Zum Glück hatte Alex an dem Sonntag Zeit für mich. Er hat den ganzen Nachmittag bei mir gesessen. Das fand ich so lieb, dass ich ihm deinen Autoschlüssel geliehen habe. Deshalb wollte ich nicht, dass du ihn anzeigst. Montags hat er mir auch noch sein Handy geschenkt, damit ich fragen konnte, wo du dich herumtreibst, wenn du wieder nicht …»
Und immer so weiter. Alex, der treue, verständnis- und rücksichtsvolle Freund und Helfer in der Not. Lothar wusste nicht mehr, was schlimmer gewesen war, diese Lobgesänge oder ihre wüsten Beschimpfungen.
Um zehn vor acht stieg er in Grevingen aus der S-Bahn und schlich wie ein geprügelter Hund durch die Unterführung zum Parkplatz. Obwohl die Landstraße weitgehend frei war, ließ er sich viel Zeit für die vier Kilometer und machte noch einen Abstecher ins Dorf, um Prinz Knatschsack abzuholen. Aber das hatte Silvie bereits getan.
So kam Lothar um halb neun alleine nach Hause. In der Garageneinfahrt parkte Gottfrieds Auto, im dunklen Vorgarten standen ein oben offener Windelkarton, ein Wäschekorb, ein älterer Koffer und die Reisetasche gepackt mit seinen Sachen. Wie gut, dass es den ganzen Tag trocken geblieben war.
Sein Hausschlüssel ließ sich nicht einstecken. Er klingelte und klopfte, bis endlich am Küchenfenster der Rollladen hochglitt. Silvie öffnete das Fenster und reichte ihm die Tasche mit seinem Laptop nach draußen.
«Das wollte ich nicht auch noch rausstellen», sagte sie. «Nachher wäre es weg gewesen. Morgen
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