Die Schuldlosen (German Edition)
besorge ich ein paar große Kartons, packe den Rest und stell alles vor die Tür, dann brauchst du nur noch einzuladen. Ich ruf dich an und sag Bescheid, wenn ich fertig bin.»
«Was soll das?», fragte Lothar, obwohl es offensichtlich war.
«Ach komm», sagte sie. «So schwer von Begriff kannst du gar nicht sein. Ich packe für dich, damit ich sicher sein kann, dass du auch tatsächlich verschwindest. Oder hast du im Ernst angenommen, du könntest Heike vögeln, und ich nehme das einfach hin? Nein, du hast geglaubt, dass ich es nie erfahre, nicht wahr? Pech gehabt.»
«Du hast sie wohl nicht alle.» Er tippte sich an die Stirn. Das war keine Antwort auf ihre Fragen, aber er dachte auch nicht daran, ihr eine zu geben, solange er vor der Tür stehen musste. «Mach gefälligst auf und lass mich rein. Dann können wir drinnen reden. Es muss ja nicht wieder die ganze Straße mithören. Das ist auch mein Haus.»
«Höchstens zu einem Viertel», korrigierte sie ihn. «Mein Vater hat hunderttausend springenlassen, deiner nur die Muskelhypothek übernommen. Aber keine Sorge, ich will mich nicht bereichern. Ich lasse den Wert seiner Arbeit schätzen und zahle dich aus.»
«Wovon denn?», fragte Lothar, «von deinem Elterngeld? Du hast doch sonst nichts.» Im Hintergrund hörte er seinen Sohn brabbeln. Nicht in der Küche. Der Kleine musste im Wohnzimmer sein.
Und nicht allein. «… schüttelt die Pflaumen», sagte gedämpft durch eine geschlossene Zimmertür eine Stimme, die Lothar wie ein Messer in die Eingeweide schnitt. «Der hebt sie auf, der bringt sie nach Haus, und der kleine Schlingel …»
«Sag mal, ist Alex bei meinem Sohn?» Er hatte kaum Luft für diese Frage. Antwort bekam er nicht.
«Stell mir bitte den Kindersitz raus», bat Silvie nur noch und schloss das Fenster wieder.
«Das kannst du nicht machen», keuchte Lothar, aber das hörte sie schon nicht mehr. Der Rollladen glitt wieder nach unten. Durch die Glaseinsätze in der Haustür sah er sie schemenhaft durch die kleine Diele huschen. Dann wurde es hinter dem Glas dunkel.
Er blieb noch etliche Minuten vor der Haustür stehen, weil das Messer in seinen Eingeweiden sich durchs Zwerchfell in die Brust bohrte und er dachte, er bekäme einen Herzinfarkt wie sein Vater. Dann klang der Schmerz langsam wieder ab, und er schaffte die paar Schritte bis zum Auto. Er legte die Laptoptasche auf den Beifahrersitz, lud Windelkarton, Wäschekorb, Koffer und Reisetasche in den Kombi und hatte nicht übel Lust, ihr mit dem Kindersitz etwas zu husten. Aber was hätte das gebracht? Er musste jetzt einen klaren Kopf bewahren und sich vernünftig zeigen.
Seine Mutter staunte nicht schlecht, als er kurz darauf schon wieder vor ihrer Tür stand. Zuerst sagte er nur: «Silvie hat mir den Kram einfach in den Vorgarten gestellt», und holte die Sachen aus dem Auto.
Nachdem seine Mutter sich vom ersten Schock erholt hatte, wollte sie wissen, was denn in Silvie gefahren sei. Ehe Lothar zu einer Erklärung kam, mutmaßte sie bereits, da stecke garantiert Alex dahinter. Der hätte nach seiner vorzeitigen Entlassung ja nichts Eiligeres zu tun gehabt, als sich an Silvie ranzumachen.
Dann begann sie zu zetern: «Ich hab mir doch gleich gedacht, dass da was faul ist. Sie war so komisch, als sie den Kleinen abgeholt hat, setzte ihn in den Buggy und sagte zu ihm. ‹Sag tschüss Oma und danke, dass du dich so lieb um mich gekümmert hast.› Mit mir hat sie keine drei Worte gewechselt. Sie hätte nicht viel Zeit, hat sie behauptet, müsste noch zu Oma und Opa.»
Das waren entschieden mehr als drei Worte gewesen. Doch Lothar zählte nicht nach, hörte nur heraus, dass Franziska und Gottfried auch schon Bescheid wussten. Aber das hätte er sich eigentlich denken können, schließlich kannte er seine Frau.
Dass Franziska nicht sofort seine Mutter eingeweiht hatte, rechnete er ihr hoch an. Aber das war auch nicht Franziskas Art. Ihrer Schwester dagegen würde sie es garantiert brühwarm berichten – oder hatte das schon getan. So in der Art: «Stell dir vor, Martha, Heike hat sich mit Lothar eingelassen. Was hat sie sich nur dabei gedacht? Sie wusste doch bestimmt, dass Silvie wieder schwanger ist. Gehört sich denn so was? Nein, das gehört sich nicht.»
Und bei nächster Gelegenheit würde seine arme Mutter es zu spüren bekommen, vermutlich bald im ganzen Dorf scheel angesehen werden. Was blieb ihm anderes übrig, als sie darauf vorzubereiten?
Obwohl er absolut sicher war,
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