Die Schule der Nacht
Blutbad anrichten… wie ein Fuchs in einem Hühnerstall.«
April versuchte, sich Gabriel als mordlüsterne Bestie vorzustellen, aber es gelang ihr nicht. Nach all den Zweifeln und Verdächtigungen und obwohl sie nun wusste, dass er ein Vampir war, dass er im tiefsten Inneren ein instinktgetriebener Mörder war, konnte sie sich einfach nicht vorstellen, dass er imstande sein könnte, ein Menschenleben auszulöschen.
»Aber warum hast du geschworen, den Regenten umzubringen, ich meine, warum nur ihn ?«
»Wenn man den Vampir tötet, der einen gewandelt hat, neutralisiert sich der Virus, mit dem man von ihm angesteckt wurde. Es wirkt praktisch wie ein Gegenmittel.«
April sah ihn mit großen Augen an. »Das heißt, dann wärst du geheilt? Und könntest ein normales Leben führen?«
Gabriel lächelte. »Theoretisch. So einen Fall hat es bisher aber anscheinend nur ganz selten gegeben. Ich habe auch nur Gerüchte darüber gehört, vielleicht ist es bloß ein Mythos.«
»Aber wenn der Regent weiß, dass du hinter ihm her bist, wie kannst du dich dann so frei in London bewegen? Seine Wächter könnten dich doch jederzeit finden?«
»Genau das ist der Punkt – er weiß es nicht. Als mich seine Leute in jener Nacht damals in der Kirche von Spitalfields aufspürten, kämpfte ich erbittert gegen sie, dabei ging eine Petroleumlampe zu Bruch und steckte die Sakristei in Brand. Ich konnte durch die Krypta fliehen, aber sie nahmen an, ich wäre in den Flammen umgekommen.«
»Und was, wenn sie dich doch eines Tages erwischen?«
Gabriel lächelte, aber sein Blick blieb ernst. »Vampire sind hochmütig und arrogant. Für sie war die Sache damit erledigt, sie hatten keinerlei Veranlassung, sich noch länger mit einem Niemand wie mir zu beschäftigen. Und ich habe dafür gesorgt, dass sie keinen Grund hatten, an meinem Tod zu zweifeln. Seit jener Nacht lebe ich im Verborgenen, aber ich halte Augen und Ohren offen, warte auf den richtigen Augenblick, verfolge ihre Spur, vergewissere mich, dass sie mich immer noch für tot halten. Aber in letzter Zeit…«
»Was?«
Gabriel schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht beschwören, aber ich habe das Gefühl, dass ich beobachtet werde.«
April lief ein kalter Schauer über den Rücken. Es war schon schwer genug, das alles überhaupt zu begreifen, aber die Vorstellung, dass jemand – irgendein Killer – sie vielleicht in diesem Moment verfolgte und beobachtete, war zu viel für sie. »Glaubst du, der Regent hat dich aufgespürt und lässt dich heimlich überwachen?«, fragte sie entsetzt. »Weißt du denn inzwischen, wer er ist?«
»Nein, ich weiß es bis heute nicht«, seufzte Gabriel. »Er ist klug und gerissen, hält sich nie lange am selben Ort auf und reist nur mit Geleitschutz. Er leidet regelrecht unter Verfolgungswahn und ist ein wahrer Meister in der Kunst, sämtliche Spuren zu verwischen. Vor ungefähr einem Jahr habe ich seine Fährte verloren, aber ich kann seine Gegenwart spüren. Ja, ich bin mir sicher, dass er wieder unterwegs ist.«
»Wenn er sich so geschickt versteckt, wie willst du ihn dann finden?«
»Noch wichtiger als Anonymität ist ihm Macht, aber um Macht auszuüben, muss er aus seinem Versteck kommen. Vielleicht ist er der Kopf eines großen internationalen Unternehmens oder das Mitglied einer einflussreichen Regierungsorganisation. Er wird nicht umhinkönnen, sich in Dinge einzumischen, Menschen und Ereignisse zu manipulieren – er kann nicht für immer unsichtbar bleiben. Und ich glaube, dass diese Morde erst der Anfang sind.«
Gabriel sah April an, die seinen Blick mit vor Furcht geweiteten Augen erwiderte. »Tut mir leid, ich wollte dir keine Angst einjagen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass der Regent etwas mit den Highgate-Morden zu tun hat. Und selbst wenn nicht – irgendetwas ist faul. Das Gleichgewicht ist gestört.«
»Welches Gleichgewicht?«
»Das zwischen Menschen und Vampiren. Das Kino und die Literatur haben ein völlig falsches Bild von uns gezeichnet – wir Vampire sind leise und unaufdringlich. Wir tragen keine rot gefütterten Umhänge und leben auch nicht in riesigen alten Schlössern. Im Gegenteil verbergen wir unsere Identität, so gut wir können, weil es sich leichter jagen lässt, wenn die Beute sich in Sicherheit wiegt.«
April schauderte. »Und mit Beute meinst du… uns?«
Gabriel nickte. »Aber ich habe in letzter Zeit den Eindruck, als hätten einige von uns ihre Deckung verlassen, als wäre es ihnen egal,
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