Die Schule der Nacht
die sie für ihre Zwecke gewonnen haben, stellen sie dann vor die Kameras: als Premierminister oder als Präsident. Aber die eigentlichen Drahtzieher bleiben dabei stets unsichtbar im Hintergrund.«
April dachte einen Moment lang darüber nach. »Okay, die Schüler werden also rekrutiert – aber von wem?«
Der Blick, mit dem Gabriel sie ansah, spiegelte ehrliche Verwirrung wider. »Ich dachte, das wäre dir schon längst klar.«
Ihre Augen weiteten sich. »Du etwa?«
»Ich und meine Freunde, ja.«
April sah ihn entgeistert an. »Aber wenn du den Regenten so sehr hasst, wie konntest du dann Teil des Systems werden?«
»Noch bin ich mir ja nicht sicher, dass der Regent tatsächlich hinter alldem steckt. Aber genau das ist der Grund, warum ich an der Schule bin und ihr Spiel mitmache – um so nah wie möglich an sie heranzukommen. Nur so kann ich herausfinden, was sie vorhaben und wer wirklich das Sagen hat.«
»Indem du unschuldige Hochbegabte verführst und dazu bringst, Vampire zu werden oder ihnen zu dienen?«
Das war alles zu viel. Der Junge, in den sie sich verliebt hatte, war nicht nur ein Vampir – er war aktiv an der Verschwörung beteiligt. Und sie hatte geglaubt, er wäre einer von den Guten, eine Art Rebell, der seinesgleichen den Rücken gekehrt hatte. Dabei war er einer von ihnen! Sie sah plötzlich wieder Ling Po vor sich, wie sie damals weinend mit blutendem Arm auf der Toilette gesessen hatte, nachdem Davina und ihre Freundinnen gegangen waren, und wieder fiel ein Puzzleteilchen an seinen Platz. »Trinkst du etwa auch ihr Blut?«
Ein wütendes Funkeln trat in Gabriels Augen. »Verdammt, April, wach endlich auf!«, fuhr er sie an. »Wie hätte ich mir denn sonst das Vertrauen der Vampire erschleichen sollen? Und ist es nicht besser, ein bisschen Blut von einer albernen kleinen Schülerin zu trinken, als jemanden in seinem eigenen Haus umzubringen?«
»Alberne kleine Schülerin?«, wiederholte April mit zusammengekniffenen Augen. »Du redest ja gerade so, als wären unsere Mitschülerinnen nichts weiter als Spielzeuge. Aber das sind Menschen, Gabriel! Soll das etwa heißen, wenn du Sara auf Milos Party im Badezimmer nicht gebissen hättest, wärst du losgezogen und hättest irgendjemand Fremdes ausgesaugt?«
»Nein, natürlich nicht«, sagte Gabriel. »Aber Blut ist nun einmal überlebensnotwendig für mich. Für uns alle.«
»Moment mal«, sagte April, weil in diesem Moment ein weiteres Puzzleteilchen an seinen Platz fiel und das Bild vervollständigte. »Wen meinst du mit ›uns‹? Davina? Benjamin? Die Schlangen? Sind sie etwa alle Vampire?«
Gabriel nickte.
»Oh Gott.« Ihr wurde schwindelig. »Oh mein Gott!« Sie stand entschlossen auf und drückte auf den Halteknopf. »Warum hast du mir das nicht schon früher gesagt?« Mit schmerzverzerrtem Gesicht humpelte sie eilig die Treppe hinunter.
Kaum hatten die Türen des Busses sich zischend geöffnet, sprang sie hinaus und rannte, so schnell ihr verletztes Knie es zuließ, die Straße entlang, während sie hektisch ihr Handy aus der Manteltasche nestelte.
»April!«, rief Gabriel, der ihr hinterhergelaufen war. »Wohin gehen wir?«
April sah ihn an und presste das Telefon an ihr Ohr. »Meine Freundinnen retten.«
Dreißigstes Kapitel
F iona war nicht mehr da, als sie bei April zu Hause ankamen. Um genau zu sein, war niemand mehr da. Bis auf eine Armada benutzter, halb geleerter Gläser, die überall herumstanden, und Bergen von unangerührtem Essen in der Küche war das Haus vollkommen verlassen. Irgendjemand hatte wohl den halbherzigen Versuch unternommen, ein bisschen aufzuräumen, aber April war sich ziemlich sicher, dass es nicht ihre Mutter gewesen war. Wo steckte sie überhaupt? Sie zückte ihr Handy und rief sie an, bekam aber nur die Mailbox dran.
»Hey, Mum, wo bist du? Ich bin gerade nach Hause gekommen, aber es ist niemand mehr hier, und ich mache mir ein bisschen Sorgen. Bitte melde dich, sobald du die Nachricht abgehört hast, ja?«
»Hast du schon versucht, deine Freundin Fiona zu erreichen?«, fragte Gabriel.
April gab ihm mit einem Blick zu verstehen, wie überflüssig die Frage war. Natürlich hatte sie Fiona schon angerufen, allerdings konnte es nichts schaden, es noch einmal zu probieren. Aber auch bei Fiona meldete sich wieder nur die Mailbox. »Hi, Fee hier. Bitte nach dem Piepston – blablabla. Ihr wisst schon, was zu tun ist…«
April sah Gabriel an. »Wohin könnten sie sie gebracht haben?«
Gabriel
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