Die Schule der Nacht
wissenschaftlichen Forschungsergebnissen der Schüler Kapital schlagen will. Was meinst du?«
»Kann schon sein… Ich gebe zu, dass das mit den geheimen Hintermännern, den Supercomputern und den dunklen Geldkanälen merkwürdig ist, aber ich verstehe immer noch nicht, was der Skandal daran sein soll.«
Caro sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Die Vermissten – die sind der Skandal.«
»Die Vermissten?«
»Ja, genau. Es verschwinden immer wieder Leute. Nicht nur hier an der Schule, aber auch. Seit ich hier bin, sind insgesamt schon acht Schüler verschwunden.«
»Und wohin verschwinden sie?«
Caro zuckte mit den Schultern. »Offiziell wird immer behauptet, sie wären woanders hingezogen oder in ihre Heimatländer zurückgekehrt, nach Korea, Indien, Russland oder wohin auch immer. Aber ich hab drei von ihnen näher gekannt und versucht, Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Sie waren nicht mehr aufzufinden.«
»Und was glaubst du, was mit ihnen passiert ist?«
»Ich glaube, dass sie sie sich geholt haben.«
»Wer sind ›sie‹?«
Caro legte eine dramatische Pause ein, dann beugte sie sich vor und flüsterte: »Die Vampire.«
April lachte, aber ihr Lachen erstarb, als sie merkte, dass Caro keine Miene verzog. Das kann sie doch unmöglich ernst gemeint haben, oder? Sie sah Caro stirnrunzelnd an und hoffte, dass noch eine Pointe folgen würde, aber ihre neue Freundin erwiderte ihren Blick, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Die Vamp…«, begann April, als ihr Handy klingelte. Sie kramte es aus der Tasche und warf einen Blick aufs Display. Es war Fiona.
»Tut mir leid, aber da muss ich rangehen.«
»Kein Problem. Ich muss sowieso nach Hause, und da vorne kommt auch schon mein Bus.« Caro zeigte zur Bushaltestelle. »Du kannst ja vielleicht deinem Vater von der Sache erzählen«, rief sie, während sie losrannte. »Wäre toll, wenn ich mich mal mit ihm darüber unterhalten könnte.«
April nickte und winkte ihr hinterher.
Dann hob sie das Handy ans Ohr. »Hi, Fee.«
»Hey, Süße. Alles klar?«
»Ja… mehr oder weniger.«
»Ich hab mich total mies gefühlt, weil ich dir von der Sache mit Neil und Miranda erzählt hab. Das war echt blöd von mir. Du hast gerade wirklich genug andere Probleme.«
Einen Moment lang wusste April nicht, wovon sie redete. Nach dem Tag heute kam ihr Edinburgh vor wie eine andere Welt, die nichts mit ihr zu tun hatte.
»Ach so das. Schon gut. Das Leben geht weiter.«
»Okay, dann erzählst du mir jetzt aber haarklein alles über die Ravenwood School!«
April sah, wie Caro in den Bus stieg, und rang sich ein Lächeln ab, als sie ihr vom Oberdeck aus zuwinkte. »Das glaubst du mir nie, Fee«, sagte sie. »Aber die sind hier alle total durchgeknallt.«
Fünftes Kapitel
G ute Mädchen kommen in den Himmel – böse kommen überallhin!, dachte April, als sie das Eingangstor hinter sich zuzog und über die Straße sprang. Sie hielt sich am Mast einer altmodischen Straßenlaterne fest, drehte sich einmal im Kreis darum und lief dann über den Platz. Kurzzeitig meldete sich ihr schlechtes Gewissen, weil sie sich einfach so über das Verbot ihrer Eltern hinwegsetzte, nach Einbruch der Dunkelheit hinauszugehen, aber als sie nach Hause gekommen war und festgestellt hatte, dass ihre Mutter noch nicht von ihrer Verabredung mit ihren Londoner Freundinnen zurück und ihr Vater noch in der Redaktion war, hatte sie beschlossen, dass es nichts schaden konnte, sich noch ein bisschen im Viertel umzusehen. Highgate war schließlich nicht South Central L.A. Und außerdem machte es unerwartet viel Spaß, sich heimlich davonzuschleichen. Sie hatte die letzten sechs Wochen – eigentlich sogar die ganzen letzten sechzehn Jahre, wenn sie es genau betrachtete – immer nur das gemacht, was andere von ihr erwartet hatten. Es war höchste Zeit, etwas daran zu ändern.
Als sie an der Highgate Literary & Scientific Institution vorbeikam, las sie auf der unter der Dachtraufe angebrachten Tafel, dass das Gebäude 1839 erbaut worden war. April stellte sich vor, wie eine Gruppe verschrobener Professoren dort herumsaß, Pfeife rauchte und über Lyrik diskutierte. Das wäre das Richtige für Dad , dachte sie lächelnd und warf einen Blick auf ihre Uhr. Es war halb sieben, und der Mond stand bereits am wolkenlosen Abendhimmel. Während sie die Swain’s Lane entlangging, fragte sie sich, warum sich heute alle Leute, denen sie begegnet war, ein bisschen seltsam benommen hatten. Vielleicht lag es daran,
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