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Die Schule der Nacht

Die Schule der Nacht

Titel: Die Schule der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Mia
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Bildschirm zu. Der Zustand des Desktops ähnelte dem des realen Schreibtischs ihres Vaters: ein einziges Durcheinander von Dateien und Ordnern, die Namen wie »Mythen« oder »Altertümliche Reliquien«, »Scotsman-Artikel« oder »Projekt Menschenhandel« trugen. April klickte einen Ordner an, den ihr Vater »Mythologie« genannt hatte. Er enthielt verschiedene Unterordner mit den Titeln »Griechisch«, »Römisch«, »Altnordisch« oder »Keltisch«. Ein Ordner trug den seltsam kryptischen Namen: »J-M569mp«. Als sie ihn anklickte, öffnete sich ein kleines Fenster mit der Aufforderung, ein Passwort einzugeben. Ratlos starrte sie auf den Bildschirm und gab dann wahllos ein paar Begriffe ein, jedoch ohne Erfolg. Dann eben nicht, dachte sie enttäuscht. Sind wahrscheinlich sowieso nur irgendwelche ekligen Pornos, die ich gar nicht sehen will.
    Plötzlich hatte sie eine Idee. Sie klickte ins Hauptmenü, rief die zuletzt verwendeten Dateien auf und ging die Liste durch.
    »Na also«, murmelte sie kurz darauf zufrieden und scrollte zu einer Textdatei namens »Highgate«.
    Anscheinend handelte es sich um die Rohfassung des neuen Buchs. Einige Textstellen waren offensichtlich aus anderen Dokumenten eingefügt worden und schienen auf den ersten Blick gar nichts oder nur wenig mit den restlichen Eintragungen zu tun zu haben. Aber April fand auch einen längeren, zusammenhängenden Absatz, der mit »Vorwort« überschrieben war.
    Dieser Stadt wohnt etwas zutiefst Böses inne…
    »Etwas Böses ?«, flüsterte sie erschrocken.
    …und dieses Böse ist so alt, dass es geschichtlich kaum zu erfassen ist. Möglicherweise existiert es schon seit Anbeginn der Zeit und ist vielleicht sogar der wahre Grund, warum die Menschen einst beschlossen, sich an den Ufern der Themse anzusiedeln. Allerdings ist dieses Böse keine übernatürliche Macht, die im Dunklen lauert. Es ist sehr viel gewöhnlicher und alltäglicher. Und genau das macht es so gefährlich und schwer fassbar. Es ist ständig präsent und begegnet uns immer wieder aufs Neue in Mythen und Sagen. In unserer modernen Welt mit ihrer die Menschen isolierenden Technologie, die der Verseuchung durch das Böse in die Hände spielt und es ihr ermöglicht, sich immer schneller und weiter auszubreiten, ist es sogar noch bedrohlicher geworden. Zugleich sind es genau dieser technologische Fortschritt und die neuen Denkansätze und Kommunikationsmöglichkeiten, mit deren Hilfe das Böse besiegt werden kann, indem es ans Licht gezerrt wird, wo es zu Staub zerfällt.
    »Von wegen, es gibt keine Monster«, murmelte April leise vor sich hin und scrollte rasch ans Seitenende, aber weiter war ihr Vater nicht gekommen. Sie sah sich noch einmal die Liste der zuletzt verwendeten Dateien an und öffnete eine Datei mit dem Namen »Kapitel?« Sie enthielt eine Liste mit folgenden Einträgen:
    Die Pest
    Der Große Brand von London
    Ungeklärte Gewaltausbrüche
    Aufstände und Elendsviertel
    Jack the Ripper
    Hawley Crippen
    Die Kray-Zwillinge
    Was hatte das alles zu bedeuten? Warum kam ihr Vater auf den Gedanken, das alles könne etwas miteinander zu tun haben? Hatte er die Pest nicht auch vorhin bei ihrer Unterhaltung erwähnt? Von plötzlicher Unruhe erfüllt, klappte sie den Laptop zu, durchsuchte die Unterlagen auf dem Schreibtisch und entdeckte einen Stapel gelbbrauner Aktenordner mit dem Vermerk: »Hampstead/Highgate-Archiv. Bitte zurück«. Als sie einen davon aufschlug, fand sie darin vergilbte alte Zeitungsausschnitte aus dem Islington Chronicle , der Hampstead Weekly News und dem Camden Bugle , die auf Karton geklebt waren – einige von ihnen waren tatsächlich schon sehr alt. Es handelte sich um Meldungen über allem Anschein nach grundlose Übergriffe auf Polizisten und Geistliche und Randale von Jugendbanden, die sich alle im Norden Londons ereignet hatten, nur wenige Kilometer von ihrem neuen Haus entfernt. Ein Zeitungsausschnitt von 1903 über den Mord an einer Frau, die mit herausgerissener Kehle in Hampstead Heath aufgefunden worden war, verstörte sie besonders, und je mehr sie las, desto unbehaglicher fühlte sie sich. Alle Artikel handelten von entsetzlichen Morden, in deren Zusammenhang Wörter wie Folter , Enthauptung und Massengräber fielen. Einzeln betrachtet schien es sich zwar um extrem grausame, aber nicht besonders ungewöhnliche Vorfälle zu handeln, falls aber tatsächlich eine Verbindung zwischen ihnen existierte, war das zutiefst beunruhigend, besonders wenn die

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