Die Schule der Nacht
ein Cowboy?«, neckte Caro ihn, aber April wusste, dass sie damit nur versuchte, ihre wahren Gefühle zu verbergen. Sie hatte den enttäuschten Ausdruck bemerkt, der über ihr Gesicht gehuscht war, als Simon sein »Date« erwähnt hatte.
»Der Gentleman genießt und schweigt«, antwortete Simon grinsend. »Und apropos Gentleman, ich glaube, ich sollte Sie lieber nach Hause begleiten, junge Dame. Die Straßen heutzutage sind einfach nicht mehr sicher.«
Die beiden verabschiedeten sich mit einer Umarmung von April, die sie bis zur Tür gebracht hatte.
»Und keine Sorge, er meldet sich ganz bestimmt«, sagte Simon, bevor er Caro nach draußen folgte. »Jungs wollen alle nur das eine, und – glaub mir – du hast davon jede Menge.«
April winkte ihnen lächelnd nach. Sie war ihren Freunden dankbar für die tröstenden Worte, aber wirklich beruhigt war sie nicht.
Ihre Mutter saß in der Küche an der Frühstückstheke, wo sie sich in dem kleinen tragbaren Fernseher eine Soap ansah.
»Sind deine Freunde schon gegangen?«, fragte sie, ohne vom Bildschirm aufzusehen.
»Ja.« April öffnete den Kühlschrank, warf einen kurzen Blick hinein, seufzte und schloss ihn dann wieder.
»Das ist schön«, murmelte ihre Mutter und tastete blind nach dem Glas Weißwein, das vor ihr stand. »Habt ihr euch gut unterhalten?«
Wütend funkelte April den Hinterkopf ihrer Mutter an. »Unterhalten? Nein, wir haben eine Orgie gefeiert und eine riesige Crackpfeife geraucht, aber nett, dass du fragst.«
Sie wartete auf eine Reaktion, doch ihre Mutter starrte weiter wie gebannt auf den Fernseher.
Kopfschüttelnd drehte April sich um und ging aus der Küche. Als sie an der Tür war, hörte sie, wie der Fernseher ausgeschaltet wurde.
»Du musst nicht glauben, dass ich nicht mitbekomme, was du sagst«, sagte ihre Mutter leise.
April fuhr verblüfft zu ihr herum.
»Auch die ironischen Scherze über Axtmörder und Drogen«, fuhr sie fort. »Ich bekomme alles mit. Noch bin ich nicht alt und taub.«
»Und warum sagst du dann nie was?«
Ihre Mutter lachte. »Ich dachte, es wäre dir lieber so.«
April musterte sie stirnrunzelnd. Sie war nicht in Stimmung für ihre Spielchen. Überhaupt waren ihre Eltern an allem schuld. Wenn sie sie nicht gezwungen hätten, in dieses schreckliche Highgate zu ziehen, wäre sie jetzt glücklich und müsste sich nicht ständig den Kopf über Dinge zerbrechen, die sie nicht verstand. Natürlich würde sie sich weiter insgeheim nach Neil Stevenson verzehren, aber das war immer noch besser, als von einem durchgeknallten Mitschüler an ihrer sonderbaren neuen Schule körperlich bedroht und von einem seltsamen Jungen ignoriert zu werden, der sich offensichtlich nicht über seine Gefühle für sie im Klaren zu sein schien und ein Faible für Friedhöfe hatte.
»Ist dir eigentlich klar, was du da sagst?«, fragte April fassungslos. »Glaubst du wirklich, ich will eine Mutter, die mich nicht beachtet?«
Silvia lächelte und nippte bedächtig an ihrem Wein. »Ich dachte, ich gefalle dir in der Rolle der ignoranten Mutter, weil du dann die schwer geprüfte Tochter spielen kannst.«
»Eine Mutter, die mit mir redet und sich für das interessiert, was ich tue, wäre mir lieber.«
Silvia stellte ihr Glas ab. »Wie kommst du darauf, dass ich mich nicht für dich interessiere?«
»Wann hast du denn jemals etwas Nettes zu mir gesagt oder mich bei etwas, das mir wichtig war, unterstützt?«
»Aber du hast doch nie irgendwelche Probleme…«
»Spinnst du? Du hast doch echt überhaupt gar keine Ahnung von meinem Leben!«, rief April wütend. Ihr war bewusst, dass sie sich im Ton vergriff, aber die letzten Tage waren einfach zu viel gewesen. Der tote Fuchs, die seltsamen Eintragungen im Notizbuch ihres Vaters, die Geschichte mit Marcus und jetzt auch noch Gabriel, der sich überhaupt nicht mehr meldete. Dabei war sie sich so sicher gewesen, dass zwischen ihnen beiden eine ganz besondere Verbindung existierte. »Ich wette, du weißt noch nicht einmal, was wir gerade in der Schule durchnehmen.«
»Nein, aber um die Schule hat sich bis jetzt auch immer dein Vater gekümmert.«
»Siehst du? Genau davon rede ich! Du interessierst dich einfach nicht für mich. Aber ich weiß schon, warum. Ich konnte deine hochgesteckten Erwartungen ja noch nie erfüllen. Ich bin nicht hübsch genug, nicht beliebt genug, du traust mir ja noch nicht einmal zu, das richtige Kleid für eine Party auszusuchen.«
Silvia glitt von ihrem Barhocker
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