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Die Schule der Nackten

Die Schule der Nackten

Titel: Die Schule der Nackten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Augustin
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Lobe Gottes.
    Als Tantrologe verweise ich auf die präzisen und sehr schwierigen «Praktiken höchster Gotteserfahrung» (Upanishana), das «Reitender Welle» und «Lingam-Askese»: Das Anhalten des Orgasmus eine Haaresbreite vor der Ejakulation, auf dem Gipfel der Ekstase, zehn Minuten lang, zwanzig Minuten in höchster Konzentration. Eine Stunde, man denke! Meister sollen es auf vier, auf vierundzwanzig Stunden gebracht haben, bis zur Nimmerwiederkehr - das ist historisch.
    Aber doch nicht in Siegen!
    – – –
    In Siegen also hatte das Mädchen Juliane angefangen, ihrerseits in die Kneipen zu gehen, damals war sie achtzehn Jahre alt. Sie hatte angefangen, sich an den Männern zu rächen, Nacht für Nacht saß sie in den Kneipen, jede Nacht in einer anderen, von spät bis früh, und wenn sie morgens nach Hause kam, wurde sie von der Mutter regelmäßig verprügelt.
    «Zu rächen?»
    «Ja, zu rächen.»
    Sie wußte, wie man das macht, wie man «anmacht», hatte ja eine lebenslange Erfahrung und genügend oft gesehen, wie man aus den Augenwinkeln heraus lauerte, wie man den Mund vorschob, sich drehte und schlängelte. Und wenn die Männer dann ganz hart waren, durften sie sie nicht anfassen. Niemand durfte sie anfassen.
    «Geh’n wir zu mir oder geh’n wir zu dir.»
    Dort habe sie die Männer angefaßt. Reihenweise habe sie die Schwänze, einen nach dem anderen, jede Sorte von Schwanz gepackt, geschwengelt und rausgerissen. Na ja, nicht ganz, aber fast. Nacht für Nacht.
    Sexuell völlig verkorkst.
    «Langsam kommt mir eine Ahnung», sagte ich, «wenn du dich an mindestens einem Mann pro Nacht gerächt hast, dann sind das…», ich rechnete nach, bei sieben Männern pro Woche, bei zweiundfünfzig Wochen, «… dann sind das über dreihundert Männer im Jahr!»
    «Mindestens.»
    «Mit neunzehn!»
    «Ja.»
    «Mit zwanzig, mit einundzwanzig!»
    «Ja.»
    «Das sind ja Tausende!» rief ich aus.
    Tausend Männer.
    Ich habe später einmal einem Schuldirektor und Freund dieses Phänomen vorgestellt: Es ist ja grauenhaft, habe ich gesagt, was für einen Durchgang die heutige Generation hat. Anscheinend ist Sex nur noch eine bloße Verrichtung für sie. Ich hätte da einen Fall im Auge, sagte ich, bei dem ein weibliches Wesen im Laufe der Zeit an die tausend Männer aufgearbeitet hat, können Sie sich das vorstellen?
    Das könne er sich sogar sehr gut vorstellen, erwiderte der Schuldirektor, er habe da seinerseits einen Fall im Auge:
    Zwei Schüler auf der Schulbank, Schüler und Schülerin, die bereits mit zwölf ein vollkommenes Ehepaar waren. Er habe beobachtet, wie sie sich durch die Jahre hindurchtäschelten, durch sämtliche Mathematikstunden, alle Geographie, Chemie, Physik (tätschelten), durch Englisch, Französisch, durch alle Deutschstunden, bis zum Schulabschluß.
    Danach seien sie völlig untauglich gewesen. Zu irgend etwas. Man durfte nur hoffen, daß sie sich nicht gegenseitig zu Tode getätschelt haben. Allesamt.
    – – –
    «Ist das nicht zu pessimistisch gesehen», gab ich zu bedenken.
    «Nicht als Schulmann. Sie machen Tantra.»
    «Sie machen was?»
    «Indische Liebesschule.»
    «Ach das!» rief ich aus.
    – – –
    Ach das, hätte ich ausrufen sollen, als mir Juliane von ihrem Matrosen erzählte, den sie eines Tages, da war sie noch nicht dreißig, kennengelernt hatte - denn von nun ab sollte es sich ziemlich grauenhaft anhören. Er sei schon älter gewesen, ein krummbeiniger Seemann, dem wahrscheinlich das Wasser bis zum Halse stand, aber er habe gewußt, wie. Und vor allem, wo. Da habe sie der alten Knochen (mußte er denn unbedingt krummbeinig sein?) zu einer internen Veranstaltung mitgenommen, einer rituellen Sitzung der «Harakrishna», wo vierundzwanzig bleiche Figuren ihr Heil suchten, wo? In Siegen. Juliane, Kind, hätte ich ausrufen sollen, merkst du denn nicht, wie grauenhaft sich das anhört!
    Ich hatte mich immer über die haarfeinen Fältchen gewundert, die ihren Mund umgaben. Ich will sagen, das Gesicht war jung, mädchenhaft sogar, aber um den Mund stand ein Kranz winziger Fältchen wie bei den Geldbörsen früherer Zeit, die mit der Schnur zusammengezogen wurden. Das war es, was ich immer gesehen hatte, daß ihr Mund zusammengezogen war, ich habe es bisher absichtlich nicht erwähnt, ich hatte mich nur gewundert.
    So mußte ich mit anhören, wie der krummbeinige Seemann meine Schöne, meine Göttin, mein göttliches Gefäß über dunkle Bahngleise schleppte, über verrottete Stege

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