Die Schwalbe, die Katze, die Rose und der Tod - Svalan, katten, rosen, döden
schieben wir mal die Philosophie beiseite. Was steht heute auf deiner Tagesordnung?«
Moreno seufzte.
»Schreibtischarbeit«, sagte sie. »Aber alles hat seine Zeit, denke ich mal. Und wenn man sowieso blutet, ist es vielleicht sogar das Beste. Nein, Scheiße, so habe ich es nicht gemeint. – Und du?«
»Danke, gleichfalls«, sagte Sammelmerk, »… ja, Schreibtisch, meine ich. Aber ich hoffe, nur am Vormittag. Wenn es nach mir geht, dann werde ich nach dem Mittag einen kleinen Ausflug nach Willby machen.«
»Nach Willby? Warum das?«
»Gute Frage«, sagte Sammelmerk. »Wegen Clara Peerenkaas, die habe ich auf dem Kieker. Rooth meinte, es wäre etwas zu still aus der Richtung… Wenn du dich dran erinnerst, so hat sie in der ersten Zeit, nachdem ihre Tochter verschwunden war, fast jeden Tag angerufen. Dann hat das mit einem Mal aufgehört… irgendwie ganz plötzlich. Tja, das bedeutet vielleicht nichts, aber es kann sinnvoll sein, sich diese Sache mal genauer anzuschauen.«
Moreno dachte nach.
»Ja, vielleicht«, sagte sie. »Ja, wenn du damit einen halben Tag Papierkrieg umgehen kannst, dann ist das auf jeden Fall nicht falsch gedacht. Aber du hast noch nicht das Okay dafür?«
Sammelmerk breitete die Hände aus.
»Wie sollte ich? Wir wissen doch nicht einmal, wer im Augenblick das Okay geben kann. Wird es der berühmt-berüchtigte VV sein, der einspringt? Wäre bestimmt cool, ihn kennen zu lernen.«
Moreno zuckte mit den Schultern.
»Ich weiß nicht«, sagte sie. »Habe wirklich keine Ahnung. Sollst du nicht auch um zehn zu Hiller rauf, um Bescheid zu kriegen?«
Sammelmerk schaute auf ihre Armbanduhr.
»Ja, sicher«, sagte sie. »Ich gehöre zu den Auserwählten. Noch zwei Minuten. Wollen wir los?«
Polizeipräsident Hiller sah nicht sehr vorteilhaft aus an diesem krankhaft bleichen Februarmorgen, aber das tat er ja auch nur selten.
Moreno schien es für einen Augenblick, als würde er sie an einen fanatischen deutschen Briefmarkensammler und Kindermörder erinnern, den sie vor einigen Monaten in einem schlechten Film gesehen hatte – und sie überlegte verwundert, wie es möglich war, dass er fünf Kinder hatte und eine Ehefrau, die ihn all die Jahre behalten hatte. Es mussten inzwischen so an die vierzig sein, dachte sie erschrocken.
»Hm ja«, begann er. »Alle an Ort und Stelle?«
Er überblickte die Schar. Das tat Moreno auch. Münster, Rooth, Jung. Sie selbst und Sammelmerk. Der vielversprechende Kriminalinspektor Krause.
Das waren offenbar alle, die geladen waren. Der kriminelle Zirkel.
Genau besehen gab es ja wohl auch sonst niemanden, der noch hinzugezogen werden müsste. Sie ließ sich neben Jung auf dem glatten Ledersofa nieder und schloss die Augen in Erwartung, dass Hiller die Anwesenden auf seinem Block aufschreiben würde. Versuchte, sich ins Gedächtnis zu rufen, wie es ausgesehen hatte, als sie vor acht Jahren bei der Kripo angefangen hatte. Wer noch da war – und in erster Linie: Wer nicht mehr da war.
Heinemann war weg, natürlich. Der alte, schüchterne Inspektor Heinemann, der sein so ganz eigenes Tempo gehabt hatte, aber sich dennoch oft zu Antworten und Lösungen hingekritzelt hatte, an denen die anderen in aller Hast nur vorbeigehuscht waren… Und deBries, der sich vor eineinhalb Jahren das Leben genommen hatte. Um der Schande zu entgehen. Es waren immer noch nur sie selbst, Münster und Van Veeteren, die von dieser Schande wussten. Von dem wahren Grund, der hinter seinem Selbstmord steckte. Ein übertriebenes Interesse an jungen Mädchen. Sehr jungen Mädchen. Sie konnte einen Schauder nicht umgehen, als sie daran dachte.
War sonst noch jemand fort?
Van Veeteren natürlich. Der
Hauptkommissar.
Sollte er wirklich wieder auftauchen? Sie konnte es kaum glauben. Er hatte im Adenaar’s nicht besonders enthusiastisch geklungen.
Sie öffnete die Augen, und aus der finsteren Briefmarkensammlervisage des Polizeipräsidenten zog sie den Schluss, dass ihre Vermutung richtig war.
Und die neuen Gesichter? Im Vergleich mit vor acht Jahren?
Krause war zu der festen Mannschaft dazugestoßen. Mit Fleiß, Sorgfalt und Ehrgeiz. Vielleicht würde er eines Tages ein guter Polizist werden. Aber sie fragte sich, ob er jemals ein Mann werden würde.
Und sie fragte sich weiter, warum so ein abschätziger Gedanke in ihr auftauchte. Es war doch nichts zu bemängeln an Widmar Krause. Mann oder Topfpflanze? Welch vorurteilsbehaftete Gedanken einem doch so in den Sinn kommen
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