Die Schwalbe, die Katze, die Rose und der Tod - Svalan, katten, rosen, döden
dann an deFraans Tisch vorbei, ohne zu zeigen, dass er ihn wiedererkannte und ohne einen Augenkontakt zu suchen. Registrierte aber, dass deFraan ihn bemerkt hatte. Aus dem Augenwinkel notierte er, dass der Professor ihn für den Bruchteil einer Sekunde anstarrte, bevor er sich wieder eilig der Speisekarte widmete.
Aha, dachte Van Veeteren und ließ sich an einem Tisch ein paar Meter weiter hinten in dem lang gestreckten Raum nieder. Wieder ein Tropfen ins Gebräu. Er weiß, dass ich hier bin und dass er meinen Blick im Rücken hat.
Und er muss sich darüber wundern, dass ich nicht gegrüßt habe.
Es war offensichtlich, dass deFraan ins Zimmer’s gekommen war, um zu essen. Van Veeteren begnügte sich mit einem Knoblauchbrot, einem Salat und einer kleinen Karaffe Rotwein. Blätterte dann im Telegraaf, während er mit einem halben Auge sein Forschungsobjekt im Auge behielt und versuchte, sich zu entspannen.
Besonders Letzteres war nicht ganz einfach. Er spürte bald, dass seine optimistische Chemiemetapher langsam durch einen gewissen Zweifel verdrängt wurde – durch die höchst berechtigten Fragen, die er so erfolgreich den ganzen Tag über beiseite geschoben hatte. Innerhalb nur weniger Sekunden hatten sich ihre Klauen wieder in sein Fleisch gebohrt. Er würde sich ihnen stellen müssen. Es war unvermeidlich.
Was machte er da eigentlich?
Warum zum Teufel saß er hier?
Gute Fragen. An und für sich außerordentlich motivierende Überlegungen.
Er trank seufzend einen Schluck Wein. Gab es überhaupt etwas in Maarten deFraans Art des Auftretens oder in seinen Reaktionen, das darauf hindeutete, dass er mit dem Würger identisch war? Irgendetwas?
Dass er sich nicht an ein Buch und einen Autor erinnerte – einen von hundert anderen –, über die er vor fünfzehn Jahren geschrieben hatte?
Dass er wütend war, als er morgens um zwanzig nach sieben von einem hartnäckigen Buchhändler geweckt worden war?
Dass er nach einer Vorlesung in einem Lokal zu Mittag aß?
Außerordentlich suspekt, dachte Van Veeteren und trank noch ein halbes Glas Wein.
Ebenso belastend wie die Indizienkette, die zu ihm geführt hatte, konnte man wohl behaupten. Ein paar unheilvolle literarische Gestalten. Eine Nadel in einem Schuh in Wallburg. Ein progressiver Reduktionsprozess von einhundertzweiundfünfzig Freimaurern auf einen!
Verdammt, dachte er und betrachtete den traurigen Salat mit galaktischer Gleichgültigkeit. Was bin ich doch für ein Hanswurst!
Nach dieser ersten unwiderruflichen Schlussfolgerung des Tages – und dieser ehrlichen Selbstkritik – fühlte er sich schon ein wenig besser. Zum Glück wusste ja niemand, was er da so trieb, versuchte er sich einzureden. Ausgenommen Winnifred Lynch natürlich (und Reinhart wahrscheinlich), aber das musste er halt ertragen. Er pickte sich die dünnen Mozzarellascheiben aus dem Salat und aß sie. Das Gleiche tat er mit den sonnengetrockneten Tomaten. Dann schob er den Teller zur Seite, drehte sich eine Zigarette und rauchte sie.
DeFraan aß immer noch. In aller Ruhe, wie es schien.
Van Veeteren trank das, was von dem Wein noch übrig war, winkte der Kellnerin, um zu bezahlen und zu gehen. Da sein Objekt (die Beute? der Gejagte? der Würger?) das Gleiche in exakt der gleichen Sekunde tat, beschloss der Bluthund schnell, dass er dann seine Überwachung ebenso gut noch eine Weile fortsetzen könnte – wenn er sich denn unbedingt als Hanswurst aufführen wollte. Wobei die Chancen, dass deFraan sich jetzt ganz einfach zu seiner Wohnung in der Kloisterstraat begeben würde, ziemlich gut standen. Aber was waren schon ein paar weitere rausgeworfene Minuten dieses verlorenen Tages?!
Komme, was da wolle, verdammt!, dachte Van Veeteren. Kann nur hoffen, dass er mich nicht anzeigt.
Sein einfacher Plan wurde jedoch dadurch durchkreuzt, dass deFraan als Erster seine Rechnung bekam – und dass er bezahlte und von seinem Platz aufstand, sobald die Prozedur abgeschlossen war. Der Buchhändlerhanswurst versuchte wütend, die Aufmerksamkeit der Kellnerin auf sich zu ziehen, aber die ging andere Wege. Er überlegte eine Sekunde lang, einfach einen ausreichenden Schein auf dem Tisch zu hinterlassen, änderte aber seine Meinung, als er sah, dass die verschleierte Frau aus einer der abgegrenzten Nischen gegenüber der Kasse und der Bar hervorkam und deFraan durch den Flur hinaus folgte.
Was zum Teufel?, dachte er. Was zum… ?
Schnell rekapitulierte er, was er von ihr erinnerte. Dass sie neben
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