Die Schwalbe, die Katze, die Rose und der Tod - Svalan, katten, rosen, döden
er dann bitte herum und entschuldigte sich? Wozu sollte das gut sein? Er brummte wütend und holte seinen Zigarettenapparat heraus. Schau lieber nach außen statt nach innen, wenn du schon mal hier bist!, ermahnte er sich selbst. Und hör auf, dich wegen deiner Beweggründe zu bemitleiden!
Er betrachtete das Zimmer. Es sah traurig aus. Die Möbel schienen eher zufällig zusammengekommen zu sein. Das Sofa und die Sessel hatten einen Bezug von hellem Neunzigerjahre-Design, aber ein paar gediegene Weinflecken (soweit er es beurteilen konnte jedenfalls, er war in dieser Beziehung nicht direkt ein Neuling) nahmen ihm viel von der Frische. Wollmäuse unter dem Tisch und eine Tapete mit einem Muster, das besser zu Unterhosen gepasst hätte. Das Bücherregal an der einen Wand mit mehr Nippes als Büchern, und mittendrin die audiovisuelle Standardausrüstung in schwarzem Plastik – Fernseher, Video sowie eine koreanische Musikanlage, von einer Marke, die zu Spottpreisen an Tankstellen verramscht worden war, wie er sich zu erinnern meinte – ja, das gehörte eigentlich schon zur Grundausstattung der Wohnung, genau wie die Jalousien, der Linoleumfußboden, der Kühlschrank und die Spüle.
Was mache ich hier?, dachte er und zündete sich eine Zigarette an. Wonach suche ich eigentlich, mit welchem Recht trample ich hier in diesem hoffnungslosen Jammertal herum?
Nur so als Frage. Er ging weiter in das Zimmer der Tochter. Monica?, dachte er. Monica Kammerle, wer warst du? Oder wer
bist
du? Das Mädchen konnte ja trotz allem noch am Leben sein. Es war schon Merkwürdigeres passiert.
Das Zimmer war klein und schmal. Nicht mehr als vier mal zweieinhalb Meter ungefähr. Ein Bett mit rotem, abgegriffenem Überwurf. Ein einfacher Schreibtisch mit Stuhl. Ein Baumarktregal und eine freie Garderobe in einer Ecke. Zwei Poster an den Wänden, das eine schwarzweiß mit zwei Händen, die sich einander entgegenstreckten, ohne sich zu erreichen, das andere ein Gesicht, an das er sich nur vage erinnerte. Ein Sänger, wie er annahm. Tot seit ein paar Jahren, an einer Überdosis gestorben, wie er annahm. Eine kleine Pinnwand mit einem Kalender, einem Stundenplan und ein paar schwarzweißen Zeichnungen von Pferden.
Auf dem Schreibtisch befanden sich die üblichen Utensilien. Collegeblock, Stiftebecher, Lampe, Taschenkalender, ein roter Radiowecker, der ausgestellt war, ein eingerahmtes Foto eines Mannes und eines Mädchens um die zehn Jahre – er vermutete, dass das Monica selbst und ihr Papa waren, der sich totgefahren hatte.
Vater, Mutter und Tochter, dachte er. Und jetzt waren sie alle weg. Er konnte nur schwer glauben, dass Monica noch am Leben war, aber beschwören wollte er es nicht. Er trat ans Regal und schaute sich die Bücher an. Davon gab es einige, das Mädchen hatte offenbar gern gelesen. Und keinen Schund. Er fand sowohl Camus als auch Hemingway und Virginia Woolf. Wie alt war sie? Sechzehn? Ein ziemlich avancierter Literaturgeschmack, daran gab’s keinen Zweifel. Er selbst hatte Camus jedenfalls nicht gelesen, als er sechzehn war.
Und Blake!
Er zog das Buch heraus und blätterte darin herum.
Songs of Innocence and of Experience.
Mit Illustrationen und allem. Es war eine schöne kleine Ausgabe, in Leder gebunden, musste einiges gekostet haben. Er überlegte, ob es wohl ein Geschenk war, aber es stand nichts auf dem Vorsatzblatt, nicht einmal ihr eigener Name. Er blätterte ans Ende des Buches und las.
Cruelty has a Human Heart
And Jealousy a Human Face
Terror, the Human Form Divine
And Secrecy, the Human Dress
Mein kleines Mädchen, dachte er und stellte das Buch zurück. Was hat dir das gegeben?
Und was hatte ihm dieser Besuch hier gegeben?
Mit größter Wahrscheinlichkeit kein bisschen. Er wechselte in Martina Kammerles Schlafzimmer, das die gleichen engen Abmessungen aufwies wie das der Tochter. Noch dazu etwas unordentlicher und mit einem unverkennbaren Touch von Resignation versehen war. Die Wände waren kahl, abgesehen von zwei Wandleuchten. Die Gardinenaufhängung war an den Rändern herausgerissen. Plastikkästen auf dem Boden und ein Haufen staubiger Wochenzeitschriften auf dem Fensterbrett. Eine vertrocknete Topfpflanze. Das Bett lag immer noch ungemacht da und nahm das halbe Zimmer ein. Er beugte sich hinunter und schaute drunter… da hatte sie also gelegen. Einen ganzen Monat lang. Plötzlich spürte er den Geruch ganz deutlich in den Nasenflügeln. Er richtete sich schnell auf und holte tief
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