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Die Schwalbe, die Katze, die Rose und der Tod - Svalan, katten, rosen, döden

Die Schwalbe, die Katze, die Rose und der Tod - Svalan, katten, rosen, döden

Titel: Die Schwalbe, die Katze, die Rose und der Tod - Svalan, katten, rosen, döden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Nesser
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halb zwölf zeigte und die Essensfrage sich in Erinnerung brachte, aber so langsam erahne ich einen ungewöhnlichen schwarzen Kern in all dem hier.
    Kaum hatte er Kern gedacht, tauchte natürlich dieses schicksalsschwere Sandwich in seinem Kopf wieder auf. Die Olive.
    Und die Plombe.
    Der Zahnarztbesuch und der Bart des Priesters und Strawinsky mit der toten Schwalbe zwischen den Zähnen. Das war schon ein Eintopf mit reichlich merkwürdigen Zutaten, oder? Alles, was recht war.
    Und mitten in diesem Eintopf schwamm ein Mörder herum. In aller Ruhe, wie es schien, die Polizei hatte noch nicht einmal Anstalten gemacht, den Köder nach ihm auszuwerfen.
    Die hatten wohl die Köderdose noch nicht gefunden.
    Van Veeteren zog sich aus dem Sessel hoch und goss sich ein weiteres Glas ein.
    Meine Bilder würden nicht einmal für einen Albtraum reichen, dachte er. Dies hier ist so einer von diesen gewissen Tagen.
    Aber dieser Gedanke an den Mörder, der vollkommen frei herumlief, das war ein irritierender Gedanke. Äußerst irritierend.

23
    Er schob die Zeitungen zur Seite und lehnte sich im Sessel zurück. Schaute aus dem Fenster auf die kranken Ulmen im Park und auf die alte Sternwarte, deren blutrote Ziegelfassade wie ein Bühnenprospekt zwischen dem Laubwerk hindurchschimmerte.
    Worte, dachte er. Erst mit Worten können wir die Wirklichkeit erfassen.
    Und Bilder. Das Bild der Wirklichkeit, das wichtiger ist als die Wirklichkeit selbst, da wir ja nur das Bild sehen. Selbst wenn es um uns selbst geht, und es ist immer jemand anders, der das Bild von uns zeichnet. Jemand anders, der uns sieht.
    Das waren keine neuen Schlussfolgerungen. Ganz im Gegenteil. Er war diesen phänomenologischen Bahnen schon oftmals gefolgt, aber es war ihm nie so deutlich gewesen wie jetzt. Die Handlung in sich – die Handlungen in sich – hatten es bisher fast nie vermocht, ihn betroffen zu machen, nachdem er sie ausgeführt hatte… Diese Frauen und dieser unbekannte Schwarzrock, der seine Nase in fremde Angelegenheiten gesteckt und das bekommen hatte, was er verdiente. Es gab ihm ein unerwartet hohes Maß an Befriedigung, dass er einen Pfarrer getötet hatte, er überlegte, woher das wohl kommen mochte… Und als er jetzt in den Zeitungen über diese Menschen las oder sah, wie die verhalten aufgeregten Reporter in den Fernsehsendungen berichteten, da bekam alles zusammen plötzlich eine Aura, die sehr stark und lebendig erschien. Besonders wenn es um das Mädchen und ihre Mutter ging natürlich. Es war mehr als ein Monat vergangen, bevor die Dinge und Geschehnisse ans Licht gekommen waren. Der Pfarrer war schon kurz nach dem Unglück auf dem Hauptbahnhof Stoff für die Nachrichten gewesen, aber es war ja nur ein Unglücksfall, weshalb ihm nur wenige Zeilen gewidmet worden waren.
    Nur ein Unglücksfall.
    Aber dann diese Wochen, diese Tage und Nächte, die zwischen der bewussten Septembernacht und jenem frühen Dienstagmorgen verstrichen, an dem er endlich darüber in der Allgemejne lesen konnte, diese ganze Zeit gab den Ereignissen, ja der Wirklichkeit selbst auf gewisse Weise schärfere Konturen, als sie schließlich unter dem Dämmerzustand und der Gleichgültigkeit auftauchten. Ihre Deutlichkeit erschien nach einer so langen Zeit des Schweigens fast obszön offensichtlich und bloßgelegt, sie traf ihn wie ein Schlag vor die Brust, und für einen kurzen Moment fürchtete er, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ein kurzer Schwindel über dem offenen Abgrund. Über einem Grab.
    Aber gleichzeitig gab es da den starken, scharfen Geschmack nach Schweiß und Blut. Nach Leben.
    Es ist da, dachte er. Hier brennen meine Feuer. Mein Leben ist genauso lächerlich bedeutungslos wie alle anderen Leben. Es fand auf dieser verfluchten griechischen Insel sein Ende, und der Tod hat jetzt für mich keine Bedeutung mehr. Nur noch eine Art unwiderstehliche Kraft.
    Am gleichen Tag las er über sich selbst in sechs verschiedenen Zeitungen, in allen, die er zu fassen kriegte, und mit jedem neuen Artikel und jeder neuen fetten Überschrift wurde das Dasein um ihn herum kompakter. Es umhüllte ihn und nahm ihn in einen in gewisser Weise bedeutungsvollen Zusammenhang auf – einen Kreis, der all die Legitimität gab oder zumindest zu geben schien, die das selbstverständliche Recht eines jeden Lebens sein sollte. Eines jeden bedeutungslosen Lebens.
    Das Recht und die Pflicht. Ich bin bestätigt, dachte er. Zum ersten Mal in meinem erwachsenen Leben wirklich

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