Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schwarze Feder

Die schwarze Feder

Titel: Die schwarze Feder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
Löffel und glänzende Messer auf die drei Platzdeckchen in der Essecke legte.
    Blackwood hatte ein Tagebuch geführt, in dem er die Morde beschrieb, die er im Lauf der Jahre im ganzen Land begangen hatte. Während des folgenden Tags wartete Howie ständig darauf, den Namen von Ron Bleeker zu hören und als unfreiwilliger Komplize identifiziert zu werden. Doch am Anfang hatte der Mörder weder die Namen seiner Opfer noch die Tatorte notiert. Das hatte er erst getan, als er angefangen hatte, ganze Familien abzuschlachten. Offenbar hatte er die Einzelmorde für nicht weiter bemerkenswert gehalten und gemeint, erst als Massenmörder Bedeutung erlangt zu haben. Howie war gerade dabei, Papierservietten zu falten und auf den Tisch zu legen, als am zweiten Abend berichtet wurde, zur Ermordung ganzer Familien sei Alton Turner Blackwood von jemand inspiriert worden, den er nur als »einen Jungen, der gute Sandwiches machte«, bezeichnete.
    Dies waren die Folgen, vor denen Howie sich gefürchtet hatte, und sie waren so schrecklich, dass sie ihm in den folgenden Wochen zusetzten wie eine schwere Krankheit. Den Tag verbrachte er hauptsächlich schlafend, und wenn er nicht schlief, lag er apathisch im Bett. Er hatte keinen Appetit, und wenn seine Mutter ihn zwang, doch etwas zu essen, übergab er sich anschließend. Mitte November hatte er erheblich an Gewicht verloren, und obwohl er kein Fieber hatte, vermutete der Arzt, er sei von einem exotischen Virus befallen. Der einzige Virus war jedoch die Depression, die ihm vorkam wie ein trübes Gewässer, in dem er immer tiefer sank und schließlich ertrinken würde. Die Tage vergingen, ohne dass er sie richtig wahrnahm. Betäubt von seiner Traurigkeit, hörte er die Stimmen anderer nur gedämpft, wie aus weiter Ferne. Er sah kaum mehr als Schatten und Licht. So tief war seine Traurigkeit, dass er in seinem fast ununterbrochenen Schlaf weder gute noch schlechte Träume hatte. Auf diese Weise entkam er Blackwood, der durch seine Albträume getobt wäre, hätte Howies Trauer ihn nicht von jedem Traum verschont.
    Als er wieder wusste, welcher Tag gerade war, hatte er über zwei Wochen verloren. Es war der zweite Dezember, ein Sonntag. Das wusste er allerdings noch nicht, als das Weinen seiner Mutter ihn aus der Dunkelheit zurückrief. Durch verkrustete Augenschlitze sah er, dass er im Krankenhaus lag. In seinem rechten Arm steckte ein Infusionsschlauch. Er spürte, dass er nicht nur Gewicht verloren hatte, denn er fühlte sich wie ein Wesen aus Stroh und Papier. Eine Männerstimme sagte: »Dehydrierung durch Erbrechen und Nachtschweiß. Aber auch absichtliche Dehydrierung, was man nicht sehr oft zu Gesicht bekommt.« Als Howie versuchte, den linken Arm vom Bett zu heben, hatte er nicht die Kraft dazu.
    Das Weinen seiner Mutter klang herzzerreißend, denn es kam von einer Frau, die offenbar untröstlich war. Es zu hören tat ihm so weh, dass er sich einfach nicht mehr in die Dunkelheit zurückziehen konnte, sondern gezwungen fühlte, sie zu trösten. Während er allmählich klarer denken konnte, hörte er sie mit gequälter Stimme sagen: »Howie hat mir das Leben gerettet. Wenn er nicht so tapfer mit seinen Verbrennungen umgegangen wäre, dann wäre ich verzweifelt.« Die Männerstimme gehörte anscheinend einem Arzt. Was der sagte, interessierte Howie nicht; er wollte mehr von seiner Mutter hören, die nach einer Weile tatsächlich weitersprach: »Ich habe eine Pistole gekauft. Um meinen Mann zu töten. Für das, was er getan hatte, das Feuer. Aber als man ihn schließlich bis zur Verhandlung auf freien Fuß setzte, sah ich, dass Howie nicht einfach nur weiterleben, sondern ein gutes Leben haben würde. Deshalb musste ich ihm zuliebe meinen Zorn beherrschen. Tag für Tag, Jahr für Jahr, ist er seither mein Held. So ein kleiner Kerl, der so viel Mut hat! Kraft hat er auch, und durch ihn habe auch ich immer Kraft geschöpft.«
    Howie wäre nie auf die Idee gekommen, er könnte für seine Mutter oder irgendjemand anderen ein Held sein. Er hatte sich bisher für einen Jungen gehalten, der vom Pech verfolgt war und den sein Vater nicht lieben konnte, für jemand, den man Narbengesicht, achtfingrige Missgeburt oder Hackfresse nannte und der nur deshalb weiterlebte, weil er Angst vor dem Tod hatte. Mit einer Stimme, so trocken wie verbrannter Toast, sagte er: »Mom.« Das musste er zweimal sagen, bevor sie ihn hörte und an sein Bett kam. Ihre Augen waren blutunterlaufen, ihre Nase war vom

Weitere Kostenlose Bücher