Die schwarze Hand des Todes
hatte Recht damit.
Mit einem Ruck stand seine ganze Welt greifbar und überdeutlich vor ihm, als hätte jemand auf einen Diaprojektor geklopft, um das Bild scharf zu stellen. Ein Leben in düsteren Farben. Alle Bürden, die sich in den letzten Wochen vor ihm aufgetürmt hatten, verschmolzen in dieser Erkenntnis zu einem einzigen, großen Klumpen. Sie hatten ihm das Mark aus den Knochen gesogen, und sie waren auch schuld an den seltsamen Beschwerden, die ihm buchstäblich wie ein Stein im Magen lagen.
Zum ersten Mal wurde Leach das ganze unglaubliche Ausmaß seiner Probleme bewusst; er war klaftertief in ein grausiges Loch gestürzt und stand nun am Boden eines Brunnenschachts, von dem kein Weg mehr nach oben führte.
»Aber ich habe den Jungen nie ein Haar gekrümmt«, sagte er vor sich hin. Und wiederholte es laut: »Stimmt’s, Dougie, ich hab dir nie ein Haar gekrümmt?« Er packte seinen jüngeren Sohn an der Schulter. Dougie versuchte, sich herauszuwinden, und heulte auf, als sein Vater noch fester zugriff.
Leach wusste, dass seine Stunde geschlagen hatte. Mindestens wegen der Prügelei mit dem jungen Ranger würde er früher oder später die Polizei auf dem Hals haben. Das hieß, die Jungen würden in ein Heim kommen. Aber auf diese Wendung war er vorbereitet, und er wusste, was er zu tun hatte. Er ließ Dougie los, der bleich und zitternd, von fremder Angst ergriffen, zu seinem Bruder rannte. Eng umschlungen, ohne einen Muskel zu rühren, behielten sie ihren Vater scharf im Auge, als wäre er ein wildes Tier, das durchs Haus strich.
Leach betastete die doppelläufige Schrotflinte mit ihrem schweren, soliden Stahlgehäuse. Es juckte ihn, die Hand an den Schaft zu legen, er hieß ihn in Gedanken willkommen wie einen alten Freund. Mit einem Mal merkte er, dass die Jungen immer noch da waren. Bei all seinen intensiven Überlegungen hatte er sie fast vergessen. Sein Hirn war ein ausgelutschter Schwamm, übel riechend und verfault wie das Zeug, das er kranken Kühen aus den Hufen kratzte.
»Will …«
»Ja, Dad?«
»Du weißt doch, wo deine Tante Maureen wohnt?«
»Ja, Dad.«
»Ihr nehmt den Bus nach Edendale und fahrt vom Busbahnhof mit dem 26er weiter Richtung Hulley. Ab der Haltestelle an der Ecke Bank Street bei der alten Bibliothek wisst ihr den Weg. Das Fahrgeld für dich und Dougie liegt in einem Umschlag auf dem Tisch.« Will sagte keinen Ton. »Kannst du dir das merken?«
»Ja.«
»In dem Umschlag ist auch noch ein Brief, den gebt ihr Tante Maureen. Und die beiden Schokoriegel sind für euch. Knuspernuss, die mögt ihr doch.« Leach probierte zu lächeln, aber es schnürte ihm die Kehle zu. »Und,Will … kümmere dich um Dougie, ja? Versprochen?«
»Versprochen«, sagte Will.
»Bist ein braver Junge.«
Warrens Blick schweifte wieder zu der Schrotflinte hin. Die Zeit lief aus. Was gab es noch zu sagen.
»Ich habe das alles nur gemacht, weil ich die Farm für euch retten wollte. Damit ihr es später einmal besser habt. Versteht ihr das?«
Die Jungen nickten pflichtschuldig. Aber Leach las aus ihren Mienen, dass sie kein Wort verstanden, es vielleicht nie verstehen würden. Bis sie alt genug waren, würde ihre Mutter ihnen eine andere Version eingetrichtert haben, in der ihr Vater als törichter Schwächling, als Trunkenbold und gewalttätiger Krimineller fungierte. Aber das stimmte nicht. Er hatte einfach nur versagt. Doch vielleicht würden die Jungen auch das nicht verstehen. Mit etwas Glück.
»Dad?«, sagte Will.
»Ja?«
»Wann sollen wir denn los?«
»Am besten jetzt gleich, mein Junge«, sagte Leach. »Bevor es dunkel wird.«
Er starrte die zwei an und überlegte, was es noch zu tun gab. Yvonne hätte sicherlich Bescheid gewusst, aber er hatte keine Ahnung von diesen Dingen. Will schien etliches davon übernommen zu haben – jedenfalls sah Dougie immer sauber aus und hatte die Haare gewaschen. Aber es musste doch noch etwas geben, irgendeine Kleinigkeit, die den Jungen zeigte, dass ihr Vater sich um sie sorgte. Besonders jetzt, wo er Abschied von ihnen nahm.
Der Kragen von Dougies Jacke war verkrumpelt. Unter dem Rucksackträger sah das Futter heraus. Mit einer von seinen Dreckpfoten richtete Warren ihm den Kragen und streifte dabei flüchtig Dougies warme Wange. Der Kleine bebte, sein Blick war fassungslos und ängstlich zugleich.
Leach wandte sich Will zu, doch der zuckte zurück, und Leach ließ die Hand fallen. Der Anflug von Wut und Kränkung verebbte so schnell, wie er
Weitere Kostenlose Bücher