Die schwarze Hand des Todes
gekommen war. Nun war Leach nur noch kalt. Kalt bis ins Herz, und bereit.
»Dann ab mit euch.«
Sie gingen über den Hof und hinunter zur Hauptstraße, ohne zurückzublicken. Leach sah zu den Kühen hin, die ihn begriffsstutzig anglotzten und sich zu fragen schienen, wieso man sie in den Stall gebracht hatte, statt sie das letzte Gras auf der Weide abfressen zu lassen. Aber sie würden schon zurechtkommen.
Leach ging zurück in die Küche und starrte aus dem Fenster, auf dem der Regen Dreckschlieren hinterlassen hatte. Die Welt dahinter wirkte verschwommen und unendlich weit weg. Über dem Moor hingen tiefe Wolken. Er sah eben noch den Wagen, der oben am Ende des Feldwegs unter Bäumen geparkt stand, aber auch das war nicht mehr wichtig.
Die Gegenstände in seiner unmittelbaren Umgebung hingegen drängten sich ihm mit ihrem ganzen Gewicht förmlich auf. Über dem kalten Ofen hingen noch Kleidungsstücke der Jungen; ihre Farben stachen ihm schmerzhaft ins Auge, und der Geruch der feuchten Erdklumpen, die er unter den Schuhen hereingetragen hatte, reizte ihn zu Tränen. Der ganze Wust schloss sich um ihn wie eine Armee gieriger Nager, die nur darauf warteten, über ihn herzufallen. Wenn er noch länger wartete, würde das Geschmeiß ihn bei lebendigem Leib fressen. Aber den Gefallen tat er ihnen nicht.
Der 26er nach Edendale hatte Verspätung: erst die Baustelle in Bakewell und dann die alte Dame, die auf dem Trittbrett gestrauchelt war, als sie in der Tasche nach ihrer Monatskarte fischte. Der Busfahrer machte viel Aufhebens um sie – weniger aus Angst vor einer Beschwerde bei der Busgesellschaft, sondern weil die Tochter der alten Dame eine Bekannte seiner Frau war und alle Businsassen zusahen und viele von ihnen wiederum ihn kannten.
In die Rucksäcke, mit denen sie morgens von derselben Haltestelle zur Schule fuhren, hatten die Jungen ihre Schlafanzüge und Zahnbürsten sowie Wäsche und Kleidung für den nächsten Tag gepackt. Der Fahrer kannte sie von früheren Morgenschichten und wunderte sich nicht weiter, dass sie auf eigene Faust unterwegs waren. Er erinnerte sich, dass anfangs noch die Mutter ihre Söhne zum Bus gebracht hatte, manchmal auch ihr übellauniger Vater, der für niemanden ein freundliches Wort hatte. Will schlug ihm nach, fand der Fahrer; aber der Kleine tat ihm Leid. Heute sah er besonders unglücklich aus.
Er nahm ihr Fahrgeld entgegen und sah ihnen einen Augenblick nach, bis sie einen Sitzplatz gefunden hatten. Dann legte er den Gang ein und hielt auf die Kurve bei der Einmündung der Straße vom Moor zu.
Wills Gesichtszüge waren wie eingefroren. Doch aus Dougies Augen kullerten die ersten Tränen. Als der Bus die Biegung erreichte, fasste Will seinen Bruder derb an der Schulter und drückte ihm seinen eigenen Schokoriegel in die Hand.
»Da, für dich«, sagte er. »Ich mag sie sowieso nicht so besonders.«
Im nächsten Moment hörten sie den Schuss. Die Jungen schauten zur Farm zurück. Das Tuckern des Dieselmotors und das Ächzen des Getriebes am Berg gingen im Gezeter der Saatkrähen unter, die in einer großen Wolke von ihren Schlafplätzen in den Birken hinter dem Farmhaus aufflogen. Molly, der alte Hofhund, bellte sich die Seele aus dem Leib.
Danach herrschte Stille. Und dröhnte ihnen lauter als alles andere in den Ohren.
31
Mark Roper blieb einen Augenblick stehen und tastete vorsichtig nach der Stelle, an der Leach ihn erwischt hatte. Ein Riss in der Lippe und ein lockerer Zahn. Falls es stimmte, was man sich von Owen erzählte, dachte Mark, sollte er darüber wohl ebenso empört sein wie seine Kollegen. Aber seit Owens Verhaftung am Vortag war er völlig durch den Wind. Wenn es ihm möglich gewesen wäre, hätte Owen heute nach der Steinmauer im Ringham Moor gesehen, das wusste Mark. Nun übernahm er es eben für ihn.
Kurz zuvor hatte Mark am Ende des steilen Pfades, der von der Ringham Edge Farm zum Hammond Tower führte, erstmals seit gut einer Woche eine einzelne Frau in einer gelben Jacke bergauf gehen sehen. Trotz der unzähligen Warnungen fanden sich immer wieder welche, die es nicht lassen konnten. Die Gefahr zog sie magisch an, so wie andere Frauen sich notorisch zu abgeurteilten Mördern und Vergewaltigern hingezogen fühlten.
Der Rucksack, den er normalerweise auf seinen Patrouillengängen trug, lag in der Rangerverwaltung, und die war auf Anweisung der Polizei vorübergehend geschlossen. Also hatte er von zu Hause einen anderen Rucksack mitgenommen,
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