Die schwarze Hand des Todes
Frauen, mit denen Ihr Mann vielleicht Umgang hatte.«
Yvonne Leach setzte die Teetasse ab, ohne einen Schluck daraus getrunken zu haben.
»Sie haben gesagt, er sei förmlich von Sex besessen. Ist es nicht denkbar, dass er sich anderweitig umgesehen hat?«
Yvonne lächelte und schüttelte den Kopf. »Was wissen Sie schon vom Leben eines Kleinfarmers. Woher hätte Warren Zeit und Gelegenheit für eine Affäre mit einer anderen Frau nehmen sollen? Jede wache Stunde geht für die Arbeit auf der Farm drauf.«
»Ganz sicher?«
»Gut, er hat wohl das eine oder andere Mal einen Blick auf die Mädels geworfen, die da des Wegs kamen und zum Moor wollten. Kann sein, dass er sich ein paarmal verdrückt hat, um sie sich genauer anzusehen. Im Hochsommer treffen sie sich gern bei diesem Steinkreis von den Neun Jungfrauen. Aber er guckt bloß gerne, sonst nichts, da bin ich mir sicher.«
Fry blickte skeptisch. »Warren ist ein guter Mann, wirklich«, setzte Yvonne nach. »Ihm ist nur einiges aus dem Ruder gelaufen.«
»Was ist mit den Jungen, Mrs Leach?«, fragte Cooper.
»Ich wollte sie natürlich mitnehmen. Aber wie hätte das gehen sollen?« Sie deutete auf ihr neues Umfeld. »Ich habe keine Angehörigen, deshalb konnte ich nirgendwo anders hin. Sobald ich Arbeit gefunden habe, suche ich mir etwas Größeres und nehme die Jungen zu mir.«
»Aber bis dahin … sind Sie sicher, dass die zwei gut aufgehoben sind?«
Mit heftigem Kopfschütteln verwahrte sie sich gegen die Unterstellung. »Warren würde den Jungen niemals etwas antun. Sie sind sein Ein und Alles, abgesehen von der Farm. Er würde ihnen kein Haar krümmen.«
»Es war also tatsächlich Leach, den du im Visier hattest?«, fragte Fry auf der Rückfahrt nach Edendale.
»Was meinst du damit?«
»Du hast gesagt, dein Freund Fox müsse als Sündenbock herhalten. Das heißt als Sündenbock für den wahren Schuldigen. Damit kannst du eigentlich nur Leach gemeint haben. Aber dafür hast du ihn bisher ziemlich sanft angefasst.«
»Er steht schon mit dem Rücken an der Wand«, sagte Cooper.
Gereizt hieb Fry auf das Lenkrad. Dann ließ sie die Schultern hängen und seufzte. »Ich begreife dich nicht«, sagte sie.
Cooper griff zum Funkgerät und meldete sich bei der Zentrale. Überrascht hob er den Kopf und lauschte. Fry drehte sich ungeduldig zu ihm hin.
»Was ist?«
»Informationen vom Sonderbeauftragten des Tierschutzbundes, der in Sachen Ringham Edge Farm ermittelt.«
»Und? Irgendwelche konkreten Beweise? Genug, um aktiv zu werden?«
»Sie haben einen ihrer Informanten genannt. Normalerweise muss ihre Identität geheim bleiben, um sie zu schützen. Aber die betreffende Person ist tot.«
»Tot?«
»Ja. Einer ihrer Informanten war Jenny Weston.«
Will Leach hatte die Schrotflinte schon an der Wand lehnen sehen. Er wusste, dass sie dort nicht hingehörte, sondern in den Stahlschrank. Das hatte ihm sein Vater stets eingeschärft. Wenn die Polizei vorbeikam und das sah, würde sein Vater die Lizenz für die Waffe verlieren. Aber das schien ihn jetzt nicht mehr zu kümmern.
Will fand es furchtbar, wenn sein Vater herumbrüllte und fluchte. Aber noch furchtbarer war es, wenn er lange Zeit vor sich hin schwieg. Sein Blick ging dann ins Leere, und er zitterte am ganzen Leib wie die Drähte des Elektrozauns an der oberen Weide. Will wusste, was in seinem Vater vorgegangen war, als er Doli bloß ansah, mit diesem seltsamen Blick. Und nun war Doli weg. Will hatte versucht zu erraten, was in seinem Vater vorging, als er ihre Mutter mit dem gleichen seltsamen Blick ansah. Und nun war ihre Mutter ebenfalls weg.
Es war der erste Tag der Herbstferien. Den Morgen über hatte Will aufgepasst wie ein Luchs. Sein Gehör war darauf trainiert, die Schritte seines Vaters im Hof oder das Klirren beim Einschenken eines Glases im vorderen Zimmer zu registrieren. So still und schweigsam wie an diesem Morgen war sein Vater noch nie gewesen. Und diesmal glaubte Will zu wissen, was in ihm vorging.
Schamgefühl war ein Fremdwort für Warren Leach. Leute, die es im Munde führten, hatte er bislang höchstens als Schwächlinge betrachtet. Jetzt aber überkam es ihn mit Macht und mähte ihn nieder wie reifes Korn.
Der Blick der Polizeibeamtin brannte noch immer auf seinen Wangen. Es hatte nicht bloß Abneigung darin gelegen wie bei den anderen, sondern pure Verachtung. Sie gab ihm – und ihm allein – die Schuld für den Haufen Mist, den er aus seinem Leben gemacht hatte. Und
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