Die schwarze Kathedrale
vielleicht bei der Bank irgendwas los war und man nach ihm geschickt hat. Und dann bin ich zur Bank gegangen und hab mit Mr. Wattam geredet.« Sie nickte einem förmlich gekleideten Mann zu, der neben ihr stand. »Aber er hat gesagt: nein.«
»Solange ich bei der Bank beschäftigt bin – und das bin ich seit fast dreißig Jahren –, hat Mr. Stonex es niemals verabsäumt, kurz nach sechs Uhr noch einmal die Bank aufzusuchen«, sagte der Mann. »Ich bin Mr. Wattam, meine Herren, und ich habe die Ehre, der leitende Angestellte der Thurchester und County Bank zu sein.«
Der Sergeant, Slattery, Austin und ich schüttelten einander die Hand, und Mr. Wattam fuhr fort: »Ich war so alarmiert durch das, was diese gute Frau mir erzählt hat, daß ich mit hierhergekommen bin. Wir haben noch eine Weile an die Tür geklopft, dann gingen wir zur Hintertür und stellten fest, daß diese ebenfalls verschlossen war. Daraufhin haben wir einen Jungen zur Polizeiwache geschickt, um die Polizei zu alarmieren.«
Während wir sprachen, wurde die Menschenansammlung immer größer. Inzwischen standen mindestens zwanzig gaffende Zuschauer herum.
»Jetzt wissen Sie ebensoviel wie ich, Sir«, sagte der Sergeant zu mir.
In diesem Augenblick hatte der Polizist, der den Vorschlaghammer schwang, eines der Türbretter zertrümmert. Er arbeitete weiter, bis das Loch groß genug war, um hindurchzuschlüpfen. Der Sergeant wies seinen Kollegen an, bis zu seiner Rückkehr niemanden ins Haus zu lassen. Dann bückte er sich und kroch durch die Öffnung.
»Das ist sehr seltsam«, sagte ich zu meinen Begleitern. »Als wir uns von ihm verabschiedeten, erfreute er sich noch bester Gesundheit, nicht wahr, Austin?«
Mein Freund nickte ernst.
Slattery lächelte. »Er ist bestimmt wegen irgendeiner eiligen Sache fortgerufen worden. Wenn er heimkommt und feststellt, daß man sein Haus aufgebrochen hat und ein ganzer Haufen überflüssiger Wichtigtuer die Straße blockiert, wage ich vorauszusagen, daß selbst ihm seine legendäre gute Laune vergehen wird.«
»Steht er denn in dem Ruf, immer so gut gelaunt zu sein?« begann ich, aber dann wurde mir klar, daß das ironisch gemeint war. Und doch hatte der alte Herr sich an diesem Nachmittag ausgesprochen liebenswürdig gezeigt.
In diesem Augenblick tauchte – irritierenderweise in Hüfthöhe – das Gesicht des Sergeanten neben mir auf, das auf einmal sehr blaß geworden war. Dann schob sich der ganze Mann durch die zerbrochene Tür. Er richtete sich auf und klopfte sich den Staub von den Knien. Sein Untergebener trat zu ihm und wartete offenbar auf Weisungen, doch der Sergeant beachtete ihn nicht, sondern ließ die Augen über die Umstehenden schweifen. Fast zufällig, wie es schien, blieb sein Blick auf Mr. Wattam haften. »Schicken Sie nach einem Arzt«, stammelte er leise. Der Bankangestellte blieb zögernd stehen, als wolle er noch eine Frage stellen. »Schnell, Mann«, flüsterte der Sergeant, und Mr. Wattam eilte davon.
»Geht es dem alten Herrn nicht gut?« fragte ich.
Der Sergeant schüttelte nur den Kopf. Mit einem tiefen Seufzer ließ er sich abrupt auf die Türschwelle sinken. Der Wachtmeister begann, die Zuschauer von der Tür fortzuwinken, als wolle er über die momentane Unpäßlichkeit seines Vorgesetzten hinwegtäuschen. »Gehen Sie bitte weiter«, drängte er. »Blockieren Sie die Fahrbahn nicht.«
Die Gruppe von Neugierigen, die vorwiegend aus Männern und Jungen bestand, wich unwillig zurück und blieb ein paar Meter weiter entfernt auf dem Bürgersteig stehen. Alle versuchten den Anschein zu erwecken, als seien sie rein zufällig und aus vollkommen anderen Gründen hier. Kurz darauf winkte der Sergeant den Wachtmeister zu sich. Sie redeten flüsternd miteinander, und ich sah, wie das Gesicht des jüngeren Mannes lang wurde und ihm der Mund offen stehenblieb. Dann kniete er nieder und machte Anstalten, sich durch die zerschmetterte Tür zu zwängen.
»Dick«, sagte der Sergeant leise. »Geh als erster und schau nach, ob die Hintertür noch verschlossen ist.« Der Wachtmeister nickte und verschwand durch das Loch.
»Gibt es nur diese zwei Türen?« fragte der Sergeant Mrs. Bubbosh. Sie nickte.
Mrs. Bubbosh fing meinen Blick auf, und in ihrem Gesicht zeichnete sich die plötzliche Erkenntnis ab, daß das, was hier vorgefallen sein mußte, etwas erheblich Ernsteres war als nur die angenehme Erfahrung, für kurze Zeit im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Austin bedeckte das
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