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Die schwarze Kathedrale

Die schwarze Kathedrale

Titel: Die schwarze Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Palliser
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mich zu begrüßen: »Wie schön, Sie zu sehen.« Dann drehte er sich zu dem anderen Mann um. »Dies ist Mr. Bulmer, der Architekt. Und dieser Herr, Bulmer, ist der bekannte Historiker, Dr. Courtine.«
    »Ja, ich weiß, wer Sie sind«, knurrte Bulmer. Er lächelte nicht, als er mir die Hand reichte. Er war ein kleiner, gedrungener Mann von etwa fünfzig Jahren, mit schweren Hängebacken und einem fast kahlen Kopf.
    »Dr. Carpenter kenne ich schon«, sagte ich, als Dr. Sisterson uns vorstellen wollte.
    Der Arzt nickte beiläufig.
    Dr. Sisterson lächelte. »Jetzt sind alle Berufe hier vertreten, die wir brauchen: Ein Arzt, der uns sagen kann, wie dieser arme Mensch gestorben ist, ein Architekt, der uns erklären kann, wie er in die Wand gekommen ist, und ein Historiker, der weiß, was sich wirklich zugetragen hat.«
    »Und ein Theologe«, fügte der junge Arzt ziemlich sarkastisch hinzu, »der uns den höheren Sinn des Ganzen erklären kann.«
    Der Domkustos meinte lächelnd: »Das wird Sie als Historiker sicher faszinieren, Dr. Courtine. Anscheinend wurde die Leiche unmittelbar nach ihrem Tod eingemauert. Deshalb ist sie in dem luftdichten Raum vollständig erhalten geblieben, bis die Mauer vor ein paar Tagen beschädigt wurde.«
    »Beschädigt, möchte ich noch einmal betonen«, warf Bulmer ärgerlich ein, »weil meinen Anweisungen in unverantwortlicher Weise zuwidergehandelt wurde!« Dabei hob er das Kinn in meine Richtung und starrte mich mehrere Sekunden lang auf eine Weise an, die ich sehr beunruhigend fand.
    »Ja, Mr. Bulmer«, erwiderte Dr. Sisterson. »Dafür habe ich mich bereits entschuldigt, und ich nehme die volle Verantwortung auf mich. Der Vorarbeiter hat ausschließlich meine Anweisung befolgt.«
    »Nur, daß er nicht nach seinem Tod eingemauert wurde, Dr. Sisterson«, bemerkte Dr. Carpenter, der schweigend auf die verwesende Leiche hinuntergeblickt hatte. »Der unglückliche Mann wurde lebendig in das Monument eingemauert.«
    »Woran erkennen Sie das?« wollte ich wissen.
    Dr. Carpenter kniete nieder, umwickelte seine eigene Hand mit einem Stück Stoff und hob eine Hand des Toten hoch. »Sehen Sie hier: Die Fingernägel sind abgekratzt und die Handknochen sind geschwollen, was bedeutet, daß er versucht hat, sich aus seinem Grab zu befreien. Es muß einige Stunden, wenn nicht sogar Tage gedauert haben, bis er erstickt ist.«
    Bei dem Gedanken mußte ich nach Luft schnappen, zumal der Gestank sowieso schon betäubend war. Mit Entsetzen stellte ich mir vor, wie der Mann versucht hatte, eine Öffnung in seinen steinernen Sarg zu kratzen, wie er geschrien hatte, solange er noch Luft bekam, wie er mit den Fäusten gegen den kalten Marmor getrommelt hatte.
    »Nun ist das Geheimnis also gelöst«, stellte Dr. Sisterson fest. »Mit zweihundertfünfzig Jahren Verspätung.«
    »Ja«, antwortete ich, »jetzt wissen wir, warum Gambrill verschwand. Der arme Mann ist nicht geflohen, er wurde selbst ermordet. Und jetzt ist auch klar, warum die Marmortafel so in die Wand eingelassen wurde, daß sie ein Stück weit herausragte.«
    »Aber jetzt stehen wir vor einem neuen Rätsel«, meinte der Domkustos. »Wer hat ihn umgebracht?«
    Bulmer wechselte einen Blick mit dem jungen Arzt. »Könnten Sie so nett sein, uns das zu erklären?« fragte er. »Von wem reden Sie?«
    Abwechselnd erzählten der Domkustos und ich die Geschichte von Burgoyne. Als wir geendet hatten, lächelte der Architekt grimmig. »Als Gambrills Nachfolger kann ich seinen Wunsch, einen von den Domherren zu ermorden, sehr gut nachvollziehen.«
    Dr. Sisterson lächelte, ohne seine Verlegenheit ganz verbergen zu können, aber der junge Arzt lachte und fragte: »Hatte er denn einen besonderen Grund dafür?«
    »Das ist ziemlich geheimnisvoll«, erklärte ich. »Sie hatten sich wegen des mangelnden Interesses des Domherrn, den Vierungsturm restaurieren zu lassen, in die Haare gekriegt.« In einem Versuch, Frieden zu schließen, wandte ich mich an den Architekten: »Wie Sie vermutlich wissen, wurde das Hauptschiff nach der Enteignung des Kirchenbesitzes mehr als hundert Jahre lang nicht benutzt, weil der Vierungsturm einsturzgefährdet war, und deshalb …«
    »Davon weiß ich nichts. Ehrlich gesagt, Dr. Courtine, ist es mir auch vollkommen gleichgültig, wie oder warum die Baumeister in der Vergangenheit etwas getan haben. Als Mann der Praxis habe ich nur ein Interesse daran, ob ein Bauwerk in Zukunft halten wird oder nicht.«
    Wir schwiegen betreten. »Und

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