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Die schwarze Kathedrale

Die schwarze Kathedrale

Titel: Die schwarze Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Palliser
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außerdem fürchtete Gambrill, daß Burgoyne ihn wegen einer Unterschlagung anklagen würde«, murmelte Dr. Sisterson, der die Situation zu retten versuchte.
    »Soviel ich weiß, heißt der korrekte Ausdruck dafür Veruntreuung«, warf ich eingedenk meines ersten Gesprächs mit dem alten Bankier ein. Der Domkustos sah mich überrascht an. Ich setzte gerade an, den Unterschied zu erklären, als ich von dem jungen Arzt unterbrochen wurde.
    »Ich finde das außerordentlich spannend, meine Herren. Sie sagten, daß damals angenommen wurde, daß Gambrill Burgoyne getötet, dann auf geheimnisvolle Weise die Marmortafel an ihren Platz gehievt und eingemauert hat und schließlich verschwunden ist. Wie steht es nach unserer Entdeckung mit dieser Theorie?«
    »Dadurch werden einige Fragen beantwortet«, erklärte ich. »Es war noch eine dritte Person beteiligt. Und das muß jemand gewesen sein, der in der Lage war, Gambrill in seinem Grab einzumauern. Mit anderen Worten: Es muß ein Steinmetz gewesen sein.«
    Ich wartete, ob der Domkustos erriet, was ich sagen wollte.
    »Thomas Limbrick!« rief er aus.
    »Wer war das?« fragte Dr. Carpenter.
    »Ein junger Steinmetz, der für Gambrill arbeitete«, erklärte der Domkustos.
    »Er war der Sohn des früheren stellvertretenden Steinmetzen, der Gambrills Kollege gewesen war«, fügte ich hinzu. »Dieser war bei einem Unfall auf dem Turm ums Leben gekommen, der Gambrill ein Auge gekostet hat. Seine Witwe bezichtigte ihn des Mordes.« Bei dieser Erklärung fiel mir ein, daß ich den Architekten nach dem Zustand des Vierungsturms fragen wollte und ob ich hinaufsteigen könnte, obwohl er, wie Gazzard mir gesagt hatte, ja eigentlich für Besucher gesperrt war.
    »Nach Gambrills Verschwinden«, fuhr der Domkustos fort, »erbte der junge Limbrick sein Geschäft.«
    »Und seine Witwe«, fügte ich hinzu. »Also hatte er gleich mehrere Motive, Gambrill zu töten«, meinte der Domkustos. »Aber welchen Grund hatte er, den Domherrn zu ermorden?«
    Der Arzt hatte sich wieder dem Toten zugewandt und kniete neben ihm, während er uns zuhörte.
    »Sofern er der Täter war«, sagte ich.
    »Entschuldigen Sie mich, meine Herren«, warf der Architekt ein. »Das ist ja alles sehr interessant, aber leider bezahlt die Stiftung mich nicht dafür, daß ich hier herumstehe und über die Geschichte rede. Ich habe noch zu arbeiten.«
    »Bevor Sie gehen, Mr. Bulmer«, wandte ich mich an den Architekten, »möchte ich Sie gerne nach dem Vierungsturm fragen. Ich würde aus einem bestimmten Grund gern hinaufsteigen und ihn untersuchen. Ist das wirklich zu gefährlich?«
    »Wie bitte?« Er drehte sich rasch um und sah mich an. »Ich verstehe nicht, was Sie damit sagen wollen.«
    »Soviel ich weiß, ist der Turm wegen seiner baulichen Mängel für Besucher gesperrt. Ich wüßte gern, ob für mich vielleicht eine Ausnahme gemacht werden könnte.«
    Er starrte mich mit seinen hervorquellenden Augen an. »Ich darf Ihnen versichern, daß der Turm vollkommen in Ordnung ist. Jede gegenteilige Behauptung stellt eine solche Kritik an meinen beruflichen Fähigkeiten dar, daß mir, ehrlich gesagt, schlichtweg die Worte fehlen.«
    »Dann muß ich das wohl mißverstanden haben«, erwiderte ich.
    Ich sah, wie eine Ader auf seiner breiten, kahlen Stirn pulsierte. »Das ist sehr gut möglich, Dr. Courtine.« Langsam und jedes Wort betonend wiederholte er: »Sehr gut möglich. Aber eines möchte ich hier klarstellen: Trotz des ausgezeichneten Zustands des Turmes werde ich Ihnen unter keinen Umständen gestatten, ihn zu besteigen.« Er warf einen bedeutsamen Blick auf das gähnende Loch in der Wand und fügte, mehr an Dr. Sisterson als an mich gewandt, hinzu: »Wir können nicht riskieren, daß noch mehr Schaden an der Kathedrale angerichtet wird.«
    Damit nickte er uns zu, und mit einem kurzen »Auf Wiedersehen, meine Herren« eilte er durch das Hauptschiff auf das Westportal zu.
    »Ich fürchte, ich habe ihn beleidigt«, sagte ich zu Dr. Sisterson. »Er scheint der Meinung zu sein, daß ich diese Katastrophe für die Kathedrale heraufbeschworen habe. Aber zu Burgoynes Zeiten waren jedenfalls beide Türme einsturzgefährdet.«
    »Das ist eine seltsame Geschichte. Jetzt sind sie in bestem Bauzustand, obwohl niemand weiß, warum.«
    »Niemand weiß, warum?« Ich mußte lachen. »Können Sie mir das erklären?«
    »Nach der Restauration der Monarchie wollte die Stiftung den Schaden reparieren, der während der Bürgerkriegswirren an

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